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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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Lagern, einfach weil es viel zu verführerisch war, die eigenen Leute zu bewerfen.
    Als sie halb erfroren nach Hause kamen, hatte der Vater den Kamin angeheizt. Sie saßen dicht am Feuer und klapperten mit den Zähnen, bis es allmählich besser wurde. Die Eltern mussten ihnen versprechen, dass sie von jetzt an immerzu hier herauskämen.

    So taten sie es. Sobald sie eingetroffen waren, liefen sie mit dem großen Schraubbohrer hinaus aufs Eis und drehten ein Loch hinein, durch das sie Wasser holten, oder sie ließen an einer Schnur Brotrinden hinunter, bis ein Stichling anbiss, den sie vor Schreck wieder freiließen. Den Eltern sagten sie, es sei ein Wels gewesen. Sie holten fuderweise Holz aus dem Wald und sägten und hackten die Stämme hinterm Haus. Mit dem Ruß der Feuerstelle malten sie sich schwarze Linien unter die Augen, um auszusehen wie Wilde, sie waren Mitglieder eines abgelegen lebenden Stammes mit eigenen, grausamen Riten und ebensolchen Göttern. Sie fanden heraus, dass man mit dem Ruß aus dem Kamin Löcher ins Eis schmelzen konnte, und holten so lange mit dem Kehrblech neue Asche, bis der See schwarz gefleckt und löchrig war. Sie kletterten in die verschneiten Kronen der Eichen vorm Haus und versuchten von oben, mit Schneebällen den Wasserspeier vorm Haus zu treffen. Alfred grub Frösche und Blindschleichen aus, die in ihren Erdhöhlen Winterschlaf hielten, und taute sie am Kamin auf, um zu sehen, was mit ihnen geschah.
    Sie fuhren Schlittschuh, über den Kanal bis zum spiegelglatten Zootzensee und weiter zum Flecken Zechlin. Auf jedem neuen See, den sie erreichten, lag eine unberührte Schicht aus Reif, in den sie mit großen Schwüngen ihre Muster kratzten wie Schriftzüge auf einen leeren Bogen Papier, als schrieben sie riesige Briefe, die niemand zu lesen vermochte, falls es nicht jemanden gab, der von weit oben auf sie herunterschaute. Alfred versuchte nicht an Willi zu denken. Sie waren die ersten Menschen auf der Welt, sie waren ganz allein in der Stille des Tages, die
kein Vogelruf unterbrach. Nur vom Ufer her, von den Rändern, drang knackend und dumpf die unaufhörliche Arbeit des Eises.
     
    Die Kinder schliefen unter dem Dach, in einem niedrigen Raum, der sich über die ganze Länge des Hauses erstreckte. Die Kälte ritzte Eisblumen in die Scheiben ihrer Fenster.
    Alfred hockte davor und zeichnete sie ab. Seite um Seite füllte er sein Oktavheft mit diesen Mustern und gab ihnen Namen, die er in Klassen zusammenfasste. Es gab runde und eckige, Kränze und Strahlen, es gab die Kronen, die Stäbchen und Fächer, es gab Eisblumen, die sich öffneten wie Farne, und es gab unregelmäßige Kratzer, die Alfred hässlich fand, der Vollständigkeit halber aber ebenfalls in seine Sammlung aufnahm. So lernte er die Ruhe der Wissenschaft.
    Hier draußen in Zechlinerhütte beschloss Alfred, Naturforscher zu werden. Er war jetzt alt genug. Sein Onkel hatte ihm ein Buch geschenkt, in dem er abends las. Es handelte von der Zeit und wie sie vergangen war. Alfred schrieb sich auf, was er nicht verstand, und fragte Heinrich morgens vor dem Frühstück danach. Er übertrug die Namen der Zeitalter in sein Heft und sagte sie sich so lange auf, bis er sie auswendig kannte: Karbon, Perm, Trias, Jura, Kreide, Paläogen, Neogen, Quartär. Er las, dass es am Rhein einmal tropische Nilpferde gegeben habe, und hatte Mühe, sich das vorzustellen.
    Nachts erinnerte er sich manchmal an Eichhörnchen, an ihre Haut. Wenn die Bilder überhandnahmen, schrieb er ihr in Gedanken einen Brief, in dem er erklärte, bis auf
Weiteres keine Zeit für sie zu haben. Seine Forschungen ließen eine Begegnung leider nicht zu.
    Er fragte sich, wohin sie verschwunden war.

    Zu Weihnachten bekam er eine Elektrisiermaschine. Kurt fand ein Chemiebuch unterm Baum. Die Brüder entschieden, dass ihnen beide Geschenke gemeinsam gehören sollten. Beim Einschlafen schmiedeten sie Pläne. Sie stellten Listen auf, was sie alles lernen wollten, nach Fachgebieten geordnet. Bald schon würde niemand ihnen mehr etwas vormachen können.
    Heinrich hatte ein Puzzle geschenkt bekommen, das die ganze Welt zeigte, in tausend Teile zerlegt. Tagelang hockten die Geschwister auf den Holzdielen vor dem Kamin und versuchten es zusammenzusetzen, aber die Gleichförmigkeit der Ozeane ließ sie verzweifeln. Die Erdteile waren bald versammelt, aber es ließ sich nicht bestimmen, wie sie zueinander gehörten, so dass die Kinder eines nach dem anderen die Lust

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