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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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fragte Wegener.
    »Den allzu ungreifbaren. Wir haben es in der Meteorologie ohnehin mit recht windigen Gegenständen zu tun. Nie hält etwas still. Aber Sie scheinen genau darauf geradezu versessen zu sein.«
    »Was bringt Sie zu dieser Ansicht?«
    Wegener hatte ihm von seinem Interesse für die Natur der Tromben erzählt – Windhosen, die aus dem Nichts heraus entstanden, für Sekunden oder Minuten wüteten, um gleich darauf zu verschwinden, als sei alles nur Einbildung gewesen. Sie waren nahezu unerforscht, einfach weil sie nie zur Stelle waren, wenn man sie brauchte. Er hatte sich dazu hinreißen lassen, von seinen Überlegungen zum kraterbildenden Einfluss der Meteoriten auf die Mondoberfläche zu sprechen, der ihm recht real erschien, von außen aber womöglich ein wenig entrückt wirkte.

    Ein junges Fräulein brachte Getränke. Sie trug ein leuchtend rotes Halstuch, dabei hätte sie es nicht nötig gehabt, von ihrem Gesicht abzulenken.
    Professor Köppen bemerkte das Interesse seines Gastes und stellte sie als seine Tochter vor: Else. Auch sie die reinste Windhose, er wisse manchmal nicht, wo ihm der Kopf stehe.
    Wegener sagte, dafür gebe es ja die Sicherheit der Wissenschaft.
    Else machte einen Knicks, für Momente nahmen ihre Wangen die Farbe des Halstuchs an.
    »Da sagen Sie was«, sagte Köppen, als seine Tochter wieder im Haus verschwunden war. Obwohl er sich auch in der Wissenschaft nicht immer sicher sei, wie sicher man sich mit ihr sein könne.
    Wegener sah den Professor erstaunt an. »Aber ist es nicht das, was uns aufrecht hält?«
    »Schauen Sie«, entgegnete Köppen und wischte sich die Lippen ab. »Sie zeigen da, wie gesagt, einen verblüffenden Hang zur Unschärfe. Ist Ihnen das eigentlich bewusst? Meteorologen sind wir nun einmal alle, aber die meisten von uns sind aus einem ganz diesseitigen Interesse am Wetter des kommenden Tages dazu gekommen. Ob es trocken bleibt. Woher der Wind weht. Wie kalt es wird. Wenn Sie so wollen, schreiben wir Bauernregeln fort. Sie aber widmen sich auf diesem wahrlich ungenügend abgesicherten Feld ausgerechnet den Wolkenhöhen, der Form von Schneekristallen sowie den Geheimnissen von Turbulenzen und Luftstrudeln. Und bringen dazu noch eine Leidenschaft für das Phänomen der Fata Morgana mit. Von Phantastereien wie dem Fall von Sternschnuppen
ganz zu schweigen. Wie sollte einem so etwas nicht zu denken geben?«
    Wegener klappte den Kragen seiner Jacke hoch. Es wurde nun doch ein wenig kühl. Sternschnuppen. Er hätte einiges zu entgegnen gehabt. Stattdessen sagte er: »Aber das ist doch nichts als lauter Zufall. Diese Gegenstände haben sich einfach angeboten, und ich gehe ihnen nach. Wer weicht schon aus, wenn es etwas zum Erkunden gibt?«
    Der Professor lächelte. Er holte seinen Tabak hervor und bot seinem Gast davon an. Wegener hatte keine Erfahrung und wehrte mit der Bemerkung, sein Rauchwerk daheim vergessen zu haben, ab. Köppen hatte einen zweiten Satz im Futteral. Eine Weile lang stopften beide schweigend ihre Pfeifen. Dann war es Köppen, der sagte:
    »Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen diese Gedanken, im Gegenteil. Sie werden lachen, wenn ich Ihnen sage, dass es ein alter Traum von mir ist, Phänomenen, für die wir nicht einmal Worte kennen, eine Ordnung zu geben. Den Impressionen im Moment des Einschlafens, den Abstufungen von Schmerz, den Ideen zur Verlorenheit des Einzelnen mitten unter den Menschen.« Er strich einige überzählige Tabakkrümel zusammen und ließ sie zurück in seinen Beutel rieseln.
    Wegener sah den Professor nicht an, als er entgegnete: »Ich weiß, wovon Sie sprechen.« Er holte Luft. »Das sind gewiss Herausforderungen, auf die wir keine Antworten kennen. Aber werden wir sie jemals finden? Wird in hundert Jahren ein Kind seiner Mutter verständlich machen können, was es im Fiebertraum erlebt? Und sind wir die richtigen Männer, diese inneren Länder zu erforschen ?«

    Köppen entzündete seine Pfeife. Es war das letzte Streichholz in der Schachtel, also beugte er sich vor und gab seinem Gast Feuer. Der hatte so fest gestopft, dass der Tabak nicht brennen wollte. Wie schrecklich unangenehm. Wegener zog und pustete abwechselnd. Bis der Tabak endlich glühte, hatte die Flamme die Finger des Professors erreicht.
    Köppen ließ sich nichts anmerken. Er wedelte das Streichholz aus, blies kurz auf seine Fingerkuppen und lehnte sich zurück. Dann saßen sie einfach da und rauchten. Wegener kam es vor, als hätte

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