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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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er nie etwas anderes getan.
    Else brachte etwas Gebäck. Sie ließen es unberührt. Bald darauf kehrte sie mit einem Liegestuhl zurück, schaute prüfend in den Himmel und ließ sich wie zufällig in ihrer Nähe nieder. Auf den Stuhl hingegossen, hielt sie ein Buch in der Hand, in dem sie ohne umzublättern las. Ein Schwarm Tauben flatterte über den Garten und verschwand am Horizont.
    Wegener wurde von dem Tabakrauch ein wenig schwindelig. Er hätte durchaus gerne weiter über diese Dinge geredet, wollte aber andererseits kein übertriebenes Interesse daran zeigen. Ganz allmählich nur legte sich der Schreck darüber, dass Köppen ihn einer Neigung zum Nebulösen überführt hatte. Er wich der Verwunderung, dass der alte Mann selbst solchen Fragestellungen nachhing.
    Im Stillen formulierte Wegener einen Gedanken für sein Notizbuch: »Die Festländer des Wissens sind entdeckt. « Es war an der Zeit, sich hinauszutrauen, aufs Wasser, auf die Schollen, so schwankend sie sein mochten.
    Nach einer Weile stand Else auf und kam, den Kaffeetisch abzudecken. Sie zauberte eine Schürze hervor und
band sie sich um. Die beiden Männer sahen ihr hinterher, wie sie mit dem Tablett zum Haus schritt. Nachdem sie in der Küche verschwunden war, sagte Köppen: »Was für weibliche Formen.«
    Wegener versuchte zu lachen. Er hätte gerne etwas geantwortet, damit es nicht so still war im Garten. Nur fiel ihm beim besten Willen nichts ein. Also antwortete er einfach, was ihm durch den Kopf ging: »Finden Sie? Ich dachte gerade: Was für kindliche Formen.« Fast hätte er hinzugefügt: geradezu waisenkindliche.
    Das Gespräch hatte ihm wieder einmal vor Augen geführt, dass er etwas brauchte, an dem er Halt finden konnte. Er war auf der Suche nach Festigkeit, nach etwas Naheliegendem. Ihm fiel nicht ein, was es sein könnte.
     
    Frau Köppen rief zu Tisch, es gab Kalb mit Klößen. Beim Essen sprach ihr Mann über Drachenschnüre und wie man sie transportierte, während die Gattin schwieg. Auch Else hielt den Blick gesenkt, was Wegener Gelegenheit gab, sie anzusehen.
    Für die Nacht kam er in der Dachstube unter. Am Morgen frühstückten die Männer ohne viele Worte, wie befangen von ihren Bekenntnissen des Vortags. Auf dem Beistelltisch neben Wegener schwamm ein Goldfisch in seinem Glas und sah stumm zu ihm herüber.
    Else schenkte Kaffee ein und blieb dann bei ihnen am Tisch stehen. Ihre beiden Zöpfe waren hinter dem Kopf auf undurchschaubare Weise miteinander verschlungen. Offenbar hatte sie den Plan, sich vor Wegeners Aufbruch noch ein wenig ins Gespräch zu bringen, und löcherte Wegener zu seinen Plänen »am Nordpol«, wie sie es nannte.

    Nach dem Frühstück führte der Professor seine Drachenstation vor, und sie besprachen, wie Köppen die geplante Expedition unterstützten könnte, dann brachte er den Gast mit dem Wagen zur Bahn. Das Fahren übers Straßenpflaster der Eppendorfer Chaussee schläferte Wegener ein. Es ging ihm gut, er lehnte den Kopf an die Scheibe und sah aus dem Fenster. Dunkelrote Ziegelhäuser, dazwischen das stillstehende Band der Alster, über allem einige zerrupfte Zirruswolken. Viel zu spät bemerkte Wegener, dass sie längst am Bahnhof angekommen waren.
    »Entschuldigen Sie, ich muss für einen Moment abgeschweift sein.« Wegener griff nach dem Köfferchen zwischen seinen Füßen.
    »Das Schweifen scheint heute ihre Hauptbeschäftigung zu sein. Es ist ein richtiger Komet an Ihnen verloren gegangen. « Köppen lachte und schlug ihm mit seiner großen Hand auf die Schulter. »Wissen Sie eigentlich, woher der Name unserer Wissenschaft stammt, Herr Meteorologe?«
    Wegener starrte vor sich hin. Hinter der Frontscheibe stapfte eine Gruppe schwarz gekleideter Frauen die Stufen zum Bahnhof hinauf. Dann flüsterte er: »Meteor …«
    Warum war ihm das nicht früher aufgefallen?
    »Schauen Sie«, Köppen stellte die Handbremse fest, »es ist tatsächlich dasselbe Wort. Meteoros bedeutet ›in der Schwebe‹. Aristoteles bezeichnet damit jedes himmlische Phänomen, für das es keine Erklärung gibt. Während die entfernten Sterne unveränderlich waren, den Regeln der Astronomie unterworfen, blieb alles Nähere unberechenbar. Die Grenze beider Welten bildete der Mond. Die Astronomie beschrieb den Kosmos jenseits der Mondbahn, alles Sublunare war Meteorologie.«

    »Das heißt, wir untersuchen das Schweben?«
    »Sagen wir, das Schwebende. Sollten wir zumindest, dem Namen nach.«
    Sie waren ausgestiegen. Köppen

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