Alles Land - Roman
begleitete ihn in die Halle, am Bahnsteig gaben sie einander die Hand. Köppen drückte so fest zu, dass Wegener die Tränen in die Augen stiegen. Er fragte sich, ob das noch Herzlichkeit war oder schon eine Prüfung.
Er war bereits ein paar Schritte gegangen, als er sich noch einmal umdrehte und Köppen bat, Grüße auszurichten, an seine Tochter, den Windfang.
»Wie bitte?«, entgegnete der Professor.
»Ich wollte sagen …«
»Sie meinen Wildfang, nicht wahr? Oder dachten Sie an Windhose, weil ich sie gestern so nannte?« Köppen lächelte.
»Ersteres. Beides. Nichts davon, sagen Sie Else bitte einfach einen herzlichen Gruß von mir.« Wegener wandte sich um und sah zu, dass er Land gewann.
Zurück in Berlin, kaufte er sich als Erstes eine gebogene Pfeife. Sie würde ihm auf der Reise Beschäftigung geben. Er probierte einige Sorten Tabak aus und entschied sich schließlich für Danmark. Vor der Abfahrt könnte er sich vor Ort einen größeren Vorrat davon anlegen.
Nach und nach stapelten sich im Hof des Waisenhauses die Holzkisten mit den Sendungen der verschiedenen Institute. Wegener prüfte, ergänzte Fehlendes, besserte aus, packte um. Er entwarf seitenlange Pläne für die geplanten Ballon- und Drachenaufstiege im Eis. Als Tag der Abfahrt wurde Johannis 1906 bestimmt.
Am letzten Morgen kam ein Brief aus Großborstel. Köppen wünschte gutes Gelingen. Im Postskriptum erwähnte er, Else habe gar nicht aufhören wollen, von ihrem Gast zu schwärmen: Wie gelassen der Herr Doktor trotz all der bevorstehenden Abenteuer gewirkt habe! Wegener nahm sich vor, aus Kopenhagen zu schreiben.
Seine Mutter und Kurt begleiteten ihn dorthin, außerdem kam Heinrich herüber, der in Schleswig eine Anstellung gefunden hatte. Am Neuen Hafen ankerte die Danmark, ein einfacher Dreimaster mit gewaltigem Heck. Über ein schmales Brett lief man an Bord und musste den Kopf einziehen, bevor es in die Messe ging, wo alle schon versammelt waren.
Wegener war seltsam feierlich zumute, diese Männer zu begrüßen, mit denen er nun so viel Zeit verbringen würde. Der Premierleutnant Koch, ein hagerer Kartograph, stürzte auf ihn zu und stellte sich als sein Kabinennachbar vor. Er mochte zehn Jahre älter sein als Wegener, zum Glück sprach er leidlich Deutsch. Er führte ihn zum Kapitän, Alf Trolle. Wegener musste mehrmals nachfragen, bis er sicher war, den Namen richtig verstanden zu haben. Das sah dem Expeditionsleiter ähnlich, sich einem solchen Schiffer anzuvertrauen. Der Ornithologe Arner Manniche wirkte ein wenig verschreckt, trotz seines Schnauzers, der ausladend war wie die Schwingen eines gewaltigen Vogels. Es gab Hakon Jarner, einen Geologen und Ingenieur von der Polytechnischen Lehranstalt, einen Botaniker, der wohl Lundager hieß, und einige andere, denen Wegener einfach nur die Hand schüttelte, ihm schwirrte der Kopf von all den Menschen und der Enge unter Deck.
Wegener hatte Mylius-Erichsen brieflich darum gebeten, auf Grönland eine Zeit lang für eigene Forschungen abgestellt zu werden, er wolle in der Polarnacht die Konditionen am Rande des Inlandeises erkunden, am liebsten für einige Monate und am liebsten allein. Als Mylius-Erichsen nun auf ihn zukam, gab er Wegener die Hand, sah ihm lange in die Augen, schüttelte dann langsam den Kopf, wie fassungs- oder zumindest verständnislos. Am Ende sagte er, er sei gerne bereit, ihnen allen die größtmögliche Freiheit für ihre Forschungen zu lassen, auch wenn er nicht jede Untersuchung im Einzelnen nachvollziehen könne. In Abhängigkeit von den Umständen wolle er gerne sehen, was aus dem geplanten Exil im Eis werden könne.
Dann schlug er die Schiffsglocke am Eingang der Messe, alle Köpfe drehten sich zu ihm um, und der Expeditionsleiter sagte, er habe eine kleine Rede vorbereitet, die er nun zu halten gedenke. Man nahm Platz, und Mylius-Erichsen sprach von dem, was man dort oben brauchen werde, ein Paar arbeitswillige Hände, zwei offene Augen und all die einem gesunden jungen Mann eigene Kraft und Ausdauer. Mehr sei nicht vonnöten. Das wunderte Wegener dann doch. War nicht jeder von ihnen einer speziellen Fähigkeit wegen ausgewählt? Mylius-Erichsens Ansprache endete mit einem Ausblick: Der Glückliche, welcher ein einziges Mal auch nur ein Zipfelchen des Vorhangs vor unbekannten Ländern und Meeren zu lüften helfe, werde auch weiterhin die Anziehung der Fremde fühlen. Er werde nicht lassen können davon und weiter hinausfahren, immer wieder,
Weitere Kostenlose Bücher