Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
Vom Netzwerk:
Else wandte, bemerkte er, dass sie ihn ansah. Dann mussten sie beide kurz lächeln, Else übers ganze Gesicht, er selber wohl ein wenig verhalten. Lag es an der Stille ringsherum, dass sie nicht sprachen? Manchmal
zeigte Wegener auf einen Bergzug, eine Siedlung, eine Wolkenformation und erläuterte alles, während Else schwieg. Konnte sie ihrer Augentrübung wegen die Dinge nicht erkennen? Erwartete sie etwas von ihm? Eine Erklärung, eine Tat? Wegener rauchte eine ganze Pfeife, was in der Höhe viel Betreuung verlangte. Nachher reinigte er das Rauchwerk sorgsam und packte alles zurück in seinen Beutel. Dabei entdeckte er das Proviantbündel, das seine Wirtin ihm am Morgen hingelegt hatte, und schnürte es mit einem triumphierenden Blick auf.
    Else nahm nur einen Schluck vom Most. Nach der Vesper ließ Wegener ein wenig Sand ab, um sie höher hinaufzubringen. Dann standen sie wieder nebeneinander und sahen vor sich hin, die Gesichter von den Krempen ihrer Hüte verborgen. Else hielt den Rand des Korbes fest umklammert.
    Sie überflogen die Ausläufer des Teutoburger Waldes, der Wind war abgeflaut. Es würde eine Weile dauern, bis endlich freies Feld in Sicht kam.
    Wegener starrte in die Ferne.
    Erst als sie im Sinken begriffen waren, der Ballast längst vertan und ihre Landung nicht länger aufzuhalten, begann Else zu sprechen.
    »Fällt es dir schwer, mich zurückzulassen?«
    Wegener wünschte sich seine Pfeife zurück. Als er nicht antwortete, sprach sie weiter.
    »Ich habe mir Gedanken gemacht. Um nicht ganz untätig zurückzubleiben, möchte ich eine Zeit lang nach dem Ausland gehen. Ich möchte etwas von der Welt sehen.« Sie hielt sich am Rand des Korbes fest. »Wäre dir das recht? Ich habe an Skandinavien gedacht. Wir wären uns ein wenig näher.«

    Wegener hielt schon den Anker in der Hand und wusste nicht, was er entgegnen sollte. Was suchte sie in Skandinavien, was sich daheim nicht finden ließ? Was half es ihnen, dass sie sich dadurch näher waren? Andererseits: Diese Länder hatten ein gutes Erbe. Und die skandinavische Landmasse hob sich. Allmählich zwar, aber es war ein gutes Zeichen.
    Er fragte: »Kennst du Oslo?« Else zuckte mit den Schultern.
    Unter ihnen tat sich auf einmal eine kleine Lichtung auf, und Wegener warf rasch den Anker, wobei er Else zurief, sie solle das Ende des Seils sichern. Aber sie war noch nie geflogen und hielt es nicht fest genug, der Strick glitt ihr durch die Hände und ging verloren. Wegener sah den Anker im dunklen Wald untergehen, einen Moment wand sich das Tau noch zwischen den obersten Ästen und verschwand dann wie eine Schlange im Laub.
    Sie hatten jetzt nur noch den Ballon und sich selbst. Während Wegener überlegte, wie der Situation Herr zu werden war, stand Else in seinem Rücken und fragte: »Und nach deiner Rückkehr?«
    Darauf wusste er hier oben nun wirklich keine Antwort. Wegener stand am Korbrand und sah die Wipfel der Bäume dicht unter sich vorüberziehen. An eine Landung war nicht zu denken. Er raffte alles zusammen, was Gewicht besaß, den restlichen Proviant, jedes entbehrliche Kleidungsstück, seinen Schirm, und gab es über Bord. Es schenkte ihnen einige Meter Höhe, aber das hielt nicht lange vor.
    Er hatte die Wahl, den Ballon dranzugeben oder seine Begleitung. Als er sich nach Else umsah, erschrak er über ihr bleiches Gesicht. Wieder lächelte sie, jetzt aber kam
es ihm vor, als wollte sie gut Wetter machen bei jemandem, vor dem sie Angst hatte. Wegener bat um Verzeihung, hob sie auf den Rand des Korbes, warf das lose Ende des Schleppseils über Bord und zeigte ihr, wie man sich daran hinunterließ. Er sah ihr nicht in die Augen dabei. Was blieb ihm anderes übrig?
    Furchtbar langsam glitt sie abwärts. Ein zögerlicher Ballast. Jetzt war Wegener froh, dass der Wind sich gelegt hatte und sie nicht mehr ganz so schnell unterwegs waren. Auch die Bäume standen hier lockerer.
    Else rutschte ein Stück und hielt sich dann wieder fest, pendelte einen Moment und rutschte erneut. Wegener ahnte, wie ihr zumute war. Endlich erreichte sie die Baumkronen, sank zwischen den Stämmen hinab, am Ende fehlte dem Seil noch ein Meter, so dass sie das letzte Stück springen musste; er sah, wie sie fiel und am Boden zur Seite rollte.
    Ihm blieb fast das Herz stehen, aber im Moment ihres Loslassens gewann der Ballon an Höhe, und er verlor Else aus den Augen. Wegener überflog eine Kuppe, hinter der sich der Wald lichtete, eine Allee zog unter ihm vorbei,

Weitere Kostenlose Bücher