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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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von denen sie sich gute Dienste versprachen. Mit ihrer Hilfe würde sich das Expeditionsgepäck über die schneefreie Küste bis an die Gletscher und hinauf über die Steilwände des Inlandeises tragen lassen, wo Hunde nicht zu gebrauchen waren.
    Während seiner im Vorjahr abgeschlossenen Vermessung isländischer Gletscher hatte Koch die Zähigkeit der Pferde schätzen gelernt, und auch Wegener stieg während der Überfahrt nach Danmarkshavn manchmal hinunter in den Laderaum, wo sie im Dunkel nebeneinanderstanden, bebend vor Anspannung. Er fragte sich, ob die Nervosität Teil ihres Naturells war oder eine Reaktion auf sein Kommen. Es war wenig mehr zu sehen als ihre schwarzen Silhouetten vor dem Licht der dreckigen Luken. Um die Nüstern standen die feuchten Wolken ihres Atems.
    Wegener legte einem von ihnen die Hand auf die Seite, und das Tier schnaubte nur einmal und ließ die Flanken erzittern. Kein Vergleich zum sprunghaften, jaulenden Rudel der Schlittenhunde.

    Einen einzigen Hund hatten sie dabei, er war ihnen auf Island so lange zwischen die Beine gelaufen, bis sie auf eine Verwendung für ihn verfallen waren: Er könnte Alarm geben, wenn nachts ein Bär oder ein Wolf an die Pferde ging. Der Hund war schwarz wie die Nacht. Sie gaben ihm den Namen Gloë.
     
    Vier Walrösser warteten auf sie, als sie unweit ihres damaligen Ankerplatzes am Eingang zur Dovebucht an Land gingen. Es waren ausgesucht fette Exemplare, ihre Trägheit überwog jede mögliche Regung von Angst. Koch lud die Kamera vom Schiff und bat die vier, möglichst freundlich zu schauen. Man scherzte über den Einfall, die Photographie als Weihnachtskarte zu versenden, jeder von ihnen sollte seine Unterschrift unter das Tier setzen, dem er am ähnlichsten sah. Es war nicht schwer, sie zuzuordnen: Der Alte mit dem glatten Schädel war Vigfus, Larsen hatte den traurigen Blick, der Bulle mit den verkniffenen Augen war Koch. Wegener selbst erkannte man an seinem feinen Bart, außerdem war er derjenige mit der zierlichsten Statur.
    Vielleicht war das die spürbarste Abweichung zur ersten Reise. Dass sie nur noch zu viert unterwegs waren. Koch natürlich, sein Kamerad von der vergangenen Fahrt. Es war gut, ihn dabeizuwissen, sein blonder Bart und die blitzenden Augen schenkten Sicherheit.
    Ursprünglich wäre Lundager mit von der Partie gewesen, der Botaniker, den beide als zielstrebigen Gefährten der ersten Expedition in guter Erinnerung hatten. Aber während der isländischen Vorbereitung wurde deutlich, dass er mit seinen vierundvierzig Jahren den Anstrengungen einer solchen Reise nicht mehr gewachsen war. Er
hatte sich so vernünftig gezeigt, die Konsequenzen selber zu ziehen.
    An seiner statt war Vigfus eingesprungen, ein kräftiger, beweglicher Student der Ökonomie, der wenig sprach. Es hatte ihnen imponiert, wie flink er den Kverkfjöll bestiegen hatte, als sie die Schwefelquellen besichtigten. Für gute Beine gab es bei ihnen immer Verwendung. Als vierter Mann fand sich Lars Larsen, ein sechsundzwanzigjähriger Matrose, der ihnen auf der Überfahrt so tauglich erschienen war, dass sie ihn vom Fleck weg angeheuert hatten.
     
    Oder war es am Ende nur die Aussicht, unterwegs zu sein, die neu war? Ihr Vorhaben, den Eisrücken der Insel zu queren, von Meer zu Meer, ein Fußmarsch von tausendzweihundert Kilometern, statt einfach dazusitzen wie beim letzten Mal.
    Wann immer Wegener zurückdachte an sein Pustervig-Exil, an die Enge der Kammer, an seine Erscheinungen, wie er das, was ihm widerfahren war, unterdessen zu nennen pflegte, überfuhr ihn ein Schauer. Das Zittern kam vom Rücken her, eine winzige Erschütterung, die er nicht ernst nahm, die ihm nur auffiel, weil sie sich so zuverlässig einstellte und ihn als Phänomen faszinierte. Es war nicht so, dass Wegener keine Furcht hatte vor der Rückkehr in dieses Land, in dem er sich zu nahegekommen war.

    Um den Pferden nach der langen Überfahrt nach Grönland ein wenig Bewegung zu verschaffen, wurden sie losgelassen, sobald fester Boden unter den Hufen war. Ein Fehler,
wie sich kurz darauf erwies. Der Versuch, sie wieder einzufangen, wurde abends erfolglos abgebrochen – die Pferde blieben spurlos verschwunden.
    Es dauerte eine knappe Woche, bis man sie gefunden hatte. Drei von ihnen spürte Gloë an einem kleinen See hinter den Uferbergen auf, weitere fünf in einer Senke dahinter. Dann tauchten, im Tagesabstand, Kochs schwarzes Reitpferd und die drei fehlenden Lasttiere auf.
    Um ähnliche

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