Alles Land - Roman
beinahe hätte er eine Telegraphenleitung touchiert, bevor es ihm endlich gelang, auf einem brachliegenden Acker aufzusetzen.
Mit zitternden Beinen rannte er zurück in den Wald, keuchend Vorwürfe gegen sich ausstoßend, seiner Verlobten das angetan zu haben.
Im Wald kam sie ihm entgegen, fast hätte er sie nicht erkannt. Der Rock zerrissen, ihr Haar zerzaust, er hatte sie noch niemals so gesehen. Aus der Ferne schon hielt sie ihm ihre Hände entgegen, sie waren blutig geschürft.
Die Augen glänzten, sie erschien ihm ungeheuer schön in ihrem Schrecken. Dann hörte er, dass sie lachte.
Wegener lief zu ihr hin, sie klopfte sich noch etwas Laub von der Kleidung, dann hob sie den Kopf, sah ihn spitzbübisch an und rief, den Zeigefinger drohend erhoben: »Eine glatte Damenlandung war das aber nicht, mein Herr!«
Wegener war über die Maßen erleichtert, dass sie heil am Boden war und ihm nicht übelwollte, er konnte nicht anders, als seine Verlobte in den Arm zu nehmen. Er flüsterte in ihr Ohr und wusste selbst nicht, was er sagte. Er schloss die Augen und redete weiter in ihr Haar hinein. Was hatte er da nur für einen Prachtkerl an seiner Seite. Ihm war, als höbe sich ihm ein Gewicht von der Brust, als nähme jemand einen Sack Ballast nach dem anderen fort und leerte den Sand in alle Winde. Und auch Else wurde leicht in seinen Armen, abwechselnd hob er sie hoch in die Luft und zog sie dann wieder an sich, bis sie am Ende zu Boden fielen und gemeinsam durchs Laub dieses Spätherbstes rollten, er selbst zum ersten Mal, während Else das ja gerade erst hinter sich hatte.
Wo sie zum Stillstand kamen, blieben sie lange beieinander liegen, eng aneinandergedrängt. Wegener schlang von hinten die Arme um seine Braut und hielt sie fest, er hatte nicht vor, sie jemals wieder loszulassen. Mehr war es nicht, und dennoch stockte ihnen beiden der Atem.
So lagen sie, seine Brust drückte sich an ihren warmen Rücken, die Hüfte und alles andere auch, die Beine in ihre Kniekehlen gedrängt. Wie gut alles passte. Sie lagen beieinander wie Kontinente, die auseinandergerissen waren und doch wussten, dass sie zusammengehörten. Es drängte sie
zueinander, zurück in eine Gemeinsamkeit vor Beginn der Zeit, zu dem Gefühl, alles zu sein, was es gab auf der Welt. Aber Wegener fiel kein Weg ein, der zurückführte.
Endlich drehte Else sich zu ihm um, legte ihren Zeigefinger auf seinen Mund und ließ ihn dort, während sie mit der anderen Hand am Knoten seiner Krawatte zog. Sie sah ihm in die Augen dabei. Der Knoten saß fest, und Wegener musste mehrmals kräftig schlucken.
Es war ein rechtschaffener Kampf, fast hätte es ihm den Atem abgeschnürt, aber er hielt still. Mittlerweile war er froh über ihren Finger auf seinen Lippen und hielt sich auch an ihr Schweigegebot, als sie die Hand längst fortgenommen hatte. Er hätte bei allem, was sie nun an ihm tat, nicht gewusst, was er dazu sagen sollte.
Und während um sie herum Laub von den Bäumen schwebte, mit derselben Ruhe, mit der die Sonne allmählich zwischen den Stämmen niedersank, machten die beiden doch noch Gebrauch von der Gelegenheit, hier in den Ausläufern des Teutoburger Waldes zum ersten Mal seit langer Zeit gänzlich ungestört zu sein.
Dann lagen sie da, noch immer außer Atem. Auf dem Rücken diesmal, und Seite an Seite, den Blick hinauf ins letzte Licht gerichtet, wo nicht zu entscheiden war, ob die Baumwipfel schwankten oder der Himmel. Wegener wischte sich ein Blatt von der Wange, sie klebten jetzt überall an ihm. Alles roch nach Laub, nach Würmern und Erde, es roch nach Verwesung. Wegener meinte riechen zu können, wie die Blätter unter ihm zerfielen, wie
unzählige kleine Tiere darin wirkten, wie alles Laub sich zersetzte und vermoderte, bis neue Erde daraus geworden war, aus der wiederum neues Leben entstand. Er hatte den Geschmack von Talg auf der Zunge und merkte, dass es ein Haar war. Gleich griff er danach, um es aus dem Mund zu zupfen, und wunderte sich, wie lange er zu ziehen hatte. Ohne Zweifel gehörte es Else. Wie seltsam die Frauen doch waren. Allein ihre ganzen Trikotagen und Verschlüsse, die Strumpfbänder, Haarklammern, die Bänder, Haken und Ösen, aber auch auf diesem Felde hatte er heute einiges gelernt.
Vertraulicher Bericht über die Grönland-Expedition
Alles war anders auf dieser Reise, aber was genau war es? Die überall an Bord herumstehenden Heusäcke? Sie hatten auf Island haltgemacht, um einige der kleinen Pferde einzuladen,
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