Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
Vom Netzwerk:
selbst als Gäste zu dem Festmahl eingeladen hatten und sich nun an den Überresten gütlich taten. Der Fuchs beherzt, der Rabe vor jedem Bissen zögerlich von der Seite her seine Beute betrachtend. Keiner der drei nahm von den stumm Dazugetretenen Notiz. Es war wie in den Fabeln, nur dass niemand sprach.
    Abends gab es den Bären als Suppe, die etwas tranig geriet. Immer wieder das Erstaunen, dass die Haut unter ihrem weißen Pelz ganz schwarz war. Als käme man ihnen im Tod hinter ihr kleines Geheimnis.
     
    Der nächste Versuch gelang nicht besser. Larsen und Wegener brachen in aller Frühe auf, um sich am Südende des Borgjökels auf die Suche nach einem Durchstieg zu machen.
    Larsen ging mit einem Stock voran, Wegener folgte mit dem Theodoliten, jedoch ohne Stock. Nach einer guten Stunde erreichten sie den eigentlichen Gletscher. Sie zogen die immer imposanter werdende Steilwand des Inlandeises entlang, bis sich ein Aufstiegspunkt fand. Bereits bei der ersten Spalte brachen sie ein, ohne aber Schaden zu nehmen. Die zweite Spalte, die gleichfalls mit Schnee bedeckt war, sahen sie als Versenkung angedeutet, der Schimmer eines Schattens lag darunter wie Ringe unter einem Paar müder Augen. Larsen ging langsam hinüber, ohne einzubrechen. Wegener folgte ihm vorsichtig.
    Die anderen schätzten später, dass er insgesamt acht Meter tief gestürzt sei. Wegeners eigene Schätzung führte zu einem weit höheren Wert. Ihm kam es vor, als bliebe im Fallen die Zeit stehen. Während vor seinen Augen die Wand aus Eis vorüberglitt, sauber und glänzend wie
Porzellan, fand er Zeit, einen Abschiedsbrief an Else zu formulieren. Keine gewichtige Angelegenheit, einfach die Nachricht, wie traurig er sei, sterben zu müssen, ohne sie zur Frau genommen zu haben. Auf dem restlichen Stück wunderte er sich noch über die Tatsache, dass es ihm wichtiger gewesen war, Else eine Nachricht zu hinterlassen, als im Kopf letzte Ergänzungen an seinem Manuskript über den Urkontinent vorzunehmen.
    Er schlug mit dem Kopf gegen ein vorspringendes Stück der Eiswand, riss sich die Hüfte auf und landete endlich auf einem blattförmig von der Wand abgespaltenen Eiskamm, wobei er sich einen Finger der rechten Hand beschädigte. Auch seine Füße wurden in Mitleidenschaft gezogen. Noch immer hielt er den Theodoliten mit beiden Händen umklammert.
    Weit über ihm erschien Larsens Gesicht in der Öffnung. Es sah aus, als erschiene er in einem Bilderrahmen aus Licht. Wegener hörte seinen Namen, wie eine Frage und viel lauter gerufen, als die Umstände es erforderten. Für einen Sturz mochten acht Meter eine erhebliche Größe ausmachen, an die reine Verständigung stellte die Entfernung keine besonderen Anforderungen.
    Wegener wollte rufen, dass alles in Ordnung sei, aber als er den Mund öffnete, kam nur ein heiserer Ton heraus. Er räusperte sich und erstattete dann Rapport, indem er nacheinander alle Körperteile abtastete und Larsen einen Eindruck von ihrer Verfassung hinaufmeldete.
    Sie besprachen, was zu tun sei. Larsen warf ihm seine Mütze und Handschuhe hinunter, dann machte er kehrt, um Hilfe zu holen.

    Koch war gerade dabei, einigen über Nacht fortgetanzten Pferden nachzustellen, als Larsen mit der Unglücksbotschaft eintraf. Sie verabredeten, dass Vigfus und Koch mit Strickleiter, einer Trosse und der Eisaxt auf Skiern vorausgehen sollten, während Larsen mit dem Handschlitten und Wegeners Schlafsack nachkam. Er warf sich vor, nicht auch seinen Mantel dort gelassen zu haben.
    In dem Dämmerlicht war es für die beiden nicht leicht, die Herrschaft über ihre Ski zu behalten, und die Ungeduld machte es nicht leichter. War es möglich, dass Wegener zwei Stunden lang bewegungslos in der Kälte einer Gletscherspalte ausharrte, ohne zu erfrieren?
    Dabei war Wegener gar nicht bewegungslos. Am Fuß seines Loches war er wieder ganz zu sich gekommen, hatte einige Kolapastillen gelutscht, ein wenig gesungen und tat nun, was er am besten konnte: Er hielt sich geistig rege.
    In dem geringen Licht, das aus der Höhe zu ihm herabfiel, untersuchte er die Eiswände um sich herum. Offenbar befand er sich noch oberhalb der schmutzigen Grundmoräne, die Wände zeigten einen glatten, sauberen Bruch, der an einigen Stellen basaltähnliche Säulen hervorgebracht hatte, an anderen zeigte er sich in großen Linien muschelig oder schalig. Wegener suchte nach einem passenden Wort für diese hohle Form, aber er fand keines und fürchtete auf einmal, sein Hirn hätte

Weitere Kostenlose Bücher