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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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konnte.
     
    Dann wieder Neuschnee, bei Windstille. Er klebte so fest an Kufen und Sohlen, dass sich der Schlitten nur mit Mühe vorwärtsschleppen ließ. Grauni wagten sie nicht vorzuspannen. Obwohl er sich an den vergangenen Tagen schonen konnte und sichtlich erholt war, hatte er nur noch für zwei Tage Hungerkost, und auch das nur, wenn sie alles fürs Schuhzeug bestimmte Sennegras, alles Brot aus ihrem Proviant und was immer er sonst noch haben wollte zusammenkratzten. Daher durften sie ihm bis zum Depot keine weitere Anstrengung zumuten.

    Sie kamen an diesem Tag nicht weiter als einundzwanzig Kilometer.
    Als sie um Mitternacht erneut aufbrachen, war es der erste Juli. Sie sahen einander an und gaben sich die Hand darauf, an diesem Tag so weit zu gelangen, wie es ihnen unter allen Umständen möglich wäre. Ein Blick zurück zu Gloë, ein Pfiff, dann ging es los.
    Es wurden vierzig Kilometer, die Hälfte davon mit Grauni auf dem Schlitten, sie fuhren nahezu ohne Pause.
    Als Koch die Höhe bestimmte, waren sie auf dem ganzen Stück nur um zweihundert Meter tiefer gekommen, was nicht darauf hindeutete, dass sie sich bereits auf dem steileren Abschnitt bei der Westküste befanden. Wortlos nahm Wegener ihm die Instrumente aus der Hand und maß selbst, mit übereinstimmendem Ergebnis.
    Sie hockten sich zusammen und hielten Rat. Gloë legte sich in ihre Mitte, wo er am besten vor dem Wind geschützt war. Sie machten Annahmen und verwarfen sie, am Ende einigten sie sich auf eine Schätzung von vierzig Kilometern, die noch immer bis zum Rand blieben, während es nach ihrer Karte nur noch ganze zwölf sein sollten.
     
    Immerhin aber mehrten sich die Anzeichen auf Land: Das Eis wurde uneben, immer häufiger kamen sie nun über die Wogen, die sie vom Ostrand her in Erinnerung hatten. Wie weit das hinter ihnen lag. Koch entdeckte am Horizont eine unregelmäßige Struktur, in der sie voller Aufregung schneebedeckte Küstenberge ausmachten, und Vigfus warf bereits wieder Schnee in die Luft.
    Im Weiterfahren allerdings stellte sich heraus, dass ihre Vorfreude voreilig gewesen war. Es erwies sich, dass die
Berge bei der Annäherung langsam ihre Gestalt änderten. Je länger sie fuhren, desto deutlicher wurde es, dass die Veränderungen nichts mit ihrer Position zu tun hatten. Es waren Wolken.
    Wegener schlug vor, bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass es sich um Hinderniswogenwolken handele, ein sicheres Anzeichen für Bodenerhebungen. Niemand widersprach.
     
    Wie zuverlässig der Körper auf Niedergeschlagenheit mit Erschöpfung und Trägheit reagierte. Der einzige Antrieb, der aus einer Enttäuschung folgte, mochte gesteigerter Appetit sein, um dem Ärger zu begegnen. So jedenfalls ging es ihnen. Die Hungergefühle jedoch mussten sie bis zum Erreichen des Depots verschieben, auf unbestimmte Zeit.
    Sie machten die Pausen nun, wie es ihnen eben passte. Wenn es nicht Grauni war, der sie einforderte, war es oft Koch, dem Wegener wortreich unterstellte, gar nicht wirklich erschöpft zu sein, er wolle sie nur schonen, ja, er schone sie noch in den Tod. Wegener wäre am liebsten so lange weitergelaufen, bis diese Reise an ein Ende kam. Koch entgegnete darauf meist nichts, sondern sah ihn nur an, und manchmal ging Wegener später zu ihm hin und entschuldigte sich mit einem Nicken.
    Wo sie für mehrere Stunden bleiben wollten, gruben sie als Erstes einen behelfsmäßigen Pferdestall in den Firn, um Grauni vor dem Wind zu schützen. Einmal stieß Larsen dabei auf massives Eis und warf vor Freude gleich den Spaten in die Luft – hier musste im letzten Sommer der Firn geschmolzen sein. Alle überboten sich darin, dies als Zeichen für ihre Annäherung an die Küste zu deuten.

    Der nächste Tagesmarsch ging mit Hurra den Berg hinab, die gesamte Expedition war nun auf Skiern, bis auf Grauni, der auf dem Schlitten lag. Mittlerweile legten sie auch Gloë meistens dazu, um ihm die Eifersucht zu nehmen.
    Sie kamen über eine Reihe kleiner Spalten sowie über Strecken, wo massives Eis von einer dünnen Schneeschicht bedeckt war oder gar offen zutage lag. Vor ihnen erstreckte sich eine lange Bergkette. Koch glaubte den Gipfel ausfindig zu machen, wo er im Vorjahr das Notdepot angelegt hatte. Danach wären es nur noch gute zwanzig Kilometer, womöglich dreißig. Sie konnten nur hoffen, dass ihre Auffassung mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Alles Messen führte zu so unterschiedlichen Ergebnissen, dass sie darüber jedes Mal

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