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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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in Streit gerieten und bald beschlossen, in der Zeit, die ihr Disput in Anspruch nahm, besser Land zu gewinnen. Sie besaßen noch eine letzte Fütterung für Grauni.
    Eine lange halbe Tagesreise später erreichten sie zwar immer noch nicht die Berge, dafür aber einen kleinen Fluss. Auf dem letzten Stück hatten sich Koch und Larsen zu Grauni auf den Schlitten gesetzt und waren in rasender Fahrt die Hänge hinuntergesaust, während Wegener und Vigfus auf Skiern hinterhereilten, so schnell es ihnen möglich war.
    Fast zeitgleich erreichten sie den Wasserlauf, und allein das Geräusch seines Plätscherns versetzte sie in Verzückung – zum ersten Mal seit Monaten streckte sich das Quecksilber über den Gefrierpunkt.
    Koch scherzte, wer wohl den Handwerker beauftragt habe, hier draußen fließend Wasser zu installieren. Zu trinken gab es nun im Überfluss. Zum Waschen waren
sie zu schwach, aber sie hockten sich dicht nebeneinander ans Ufer, sechs durstige Geschöpfe, Larsen, Vigfus, Koch, Grauni, Wegener, Gloë, und tranken, als gäbe es kein anderes Ziel.
    Dann legten sie sich auf den Boden, jeder, wo er gerade war, und es dauerte eine Weile, bis Vigfus sich als Erster erhob, um einen möglichen Übergang ausfindig zu machen. Doch auch mit einigem Suchen stromauf- und -abwärts erwies sich der Fluss als unpassierbar.
    Also lagerten sie auf dem Eis davor und wollten die Mitternacht abwarten, in der Hoffnung, das Schmelzwasser könnte so weit zurückgehen, dass es ihnen gelänge, in der Dämmerung hinüberzusetzen. Sie waren zu erregt, um zu schlafen, die Kamera fand bei der Wärme zum Leben zurück, und sie photographierten wie wild.
     
    Nachts ging das Übersetzen ohne Mühe: Der Schlitten diente als Brücke über das verbleibende Wasser, Grauni wurde hindurchgezerrt. Auf halber Strecke jedoch stürzte er und kam ganz nass ans andere Ufer. Damit er nicht zu kalt wurde, ging Wegener gleich mit ihm voraus, während die anderen noch den Schlitten beluden.
    Wegener ging dicht vor Grauni und zog an der Leine, um ihn in Bewegung zu halten. Er glaubte durch das Seil hindurch zu spüren, wie das Pferd zitterte. Manchmal machte er für einen Moment halt und sah Grauni in die Augen, aber es sah kaum so aus, als blickte er zurück. Trüb schimmerten die Augäpfel, die Pupillen selber waren schwarz und leer.
    Die Strecke hielt all die bösen Überraschungen der Randzone bereit, die sie vom östlichen Küstenabschnitt
bereits kannten: Spalten, Bachläufe, Schmelzknollen, Mittagslöcher, alles, was dem Glaziologen das Herz öffnete, aber eine Schlittenfahrt fast unmöglich machte.
    An einem Überhang hielt Wegener Rast, bis die anderen mit dem Schlitten bei ihnen waren. Hier ließen sie Grauni zurück, um ihn auf dem schwierigen Gelände nicht unnötig zu quälen. Ohne Gepäck gingen sie weiter zum Depot.
     
    Auf dem letzten Stück lagen ihnen auf einmal Steine im Weg. Ungläubig betasteten sie die Brocken: Das war wirklich kein Eis mehr, das war alles Land, über das sie hier liefen, richtiges Land, nach all dem Schnee und Schnee und Schnee.
    Und auch wenn es nichts als eine Moränenlandschaft war, die verwöhntere Augen wohl für trostlos erachtet hätten, war es ihnen das reine Paradies: Zwischen den Kieseln kauerten dünne Blümchen, blassrosa, hellblau und weiß. Hummeln jagten einander durch die klare Luft, vereinzelt rief ein Vogel. Wegener rieb sich die Augen und merkte dabei erst, dass er noch immer die Handschuhe trug, für die es unterdessen viel zu warm geworden war.
    Was es alles zu sehen gab. Die Farben der Steine, grau und braun und graubraun, dazu die vielen Schatten, die Formen, die unerschütterliche Härte des Bodens. Es war nichts anderes als ein Fest.
    Mitten in diesem Elysium erwartete sie das Depot. Es war ganz leicht zu finden, von drei weit in den Himmel ragenden Stangen markiert, wie Koch es ihnen so oft beschrieben hatte.
    Dann hockten sie zwischen den Kisten und aßen schweigend, was sich an Kostbarkeiten darin fand, Dosenfisch, Stachelbeeren
aus dem Glas, kalte Bohnen, auch Gloë bekam seinen Teil, und Koch sah stolz von einem zum anderen, als hätte er das alles selber zubereitet, und sie seien nun seine Gäste.
    Nachher gab es für jeden der Männer eine Zigarre. Beim Paffen, das allen wohl etwas zu Kopf stieg, wurde Kriegsrat gehalten wie im Wilden Westen. Koch und Vigfus sollten voranziehen, um hoffentlich auf Eskimos zu stoßen, während Larsen und Wegener mit allen verfügbaren Brotlaiben

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