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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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an, und Larsen sprach nicht mehr weiter.
    Sie schwiegen eine Weile, dann schlug Koch vor, sie sollten noch einmal ihre Kleidungsstücke reduzieren. Es zeigte sich, dass sie alle nur noch das besaßen, was sie auf dem Leib trugen. Am Ende war es Wegener, der entschied, dass sie auf die Schlafsäcke verzichten würden. Auch so waren es noch immer zweihundert Pfund, die zu tragen waren. Als sie es probeweise verteilten, stellte sich heraus, dass auch für das Zelt kein Platz mehr war.
    Vigfus nahm den Schlitten, ein Gewicht von fünfundsiebzig Pfund. Jeder der anderen bewältigte eine Last von vierzig bis fünfzig Pfund, was wegen der unbequemen Anbringung ebenfalls erdrückend war.
    Beim Schultern seiner Kiste und bei den ersten Schritten mit dem neuen Gepäck hatte Wegener nur einen Gedanken
im Kopf: wie sehr er dieses Zigeunerleben überhatte. Er sehnte sich nach einer geordneten Lebensweise, nach einem festen Ort. Er war einfach reisemüde, schrecklich reisemüde.
     
    Noch am Vormittag begann es zu schneien und hielt bis zum nächsten Morgen an. Es galt einen weiteren Bach zu queren, eilig sprang das eisgraue Wasser an ihnen vorüber. Wegener legte den Schlitten als Brücke ans andere Ufer und balancierte über den schwankenden Steg. Das Gepäck wollten sie an einem Tau hinüberziehen. Als Erstes kam die Kiste mit den Photoplatten, Filmen, Journalen und Tagebüchern an die Reihe, ihr größter Schatz.
    Während die übrigen die Fuhre auf die Brücke setzten, stand Wegener allein am anderen Ufer und hielt das Seil. Dann begann er vorsichtig zu ziehen. Als die Kiste auf halbem Wege über das Wasser war, geriet Wegener mit dem Fuß in eine Schlaufe des Seils. Während er sich daraus befreite, geriet seine Fracht an den Rand der Brücke, rutschte, kippte und stürzte endlich, während Wegener unfähig zu jeder Bewegung an Land verharrte, ins Wasser.
    Der reißende Bachlauf entführte sie in Augenblicken in einen nahen See, wo sie untergegangen wäre, hätte nicht Vigfus sich sogleich seine Sachen vom Leib gerissen und den Sprung ins eiskalte Wasser gewagt. Freilich öffnete sich der Deckel, der ganze Kasten lief voll, und die Strömung entführte das Schwarzkugelthermometer, dessen langes Holzfutteral sie bald weit draußen auf dem Wasser schwimmen sahen. Sie würden keine Temperatur mehr bestimmen können.

    Zum Glück war unterdessen wieder die Sonne herausgekommen. Zu dritt rieben sie Vigfus mit dem großen Schlittensegel ab, das sie als Signalflagge mitgeführt hatten. Den Rest des Tages über trockneten sie alles auf den Steinen am Ufer, die Bücher, die Dokumente, aber auch Vigfus, der erst nach einer guten Stunde aufhörte zu zittern.
    Eine Serie photographischer Platten, die Wegener zum Trocknen ausbreitete, zeigte Gloë nach ihrer Ankunft in Danmarkshavn, wie er aus Freude darüber, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, im Treibschnee herumtollte. Eine ganze Stunde lang hatte Wegener ihm mit der Kamera nachgestellt. Wie unbekümmert er noch photographiert hatte, als müssten sie das nicht alles mit sich tragen. Wie wild Gloë jeder einzelnen Flocke nachgejagt hatte. Wie lange das alles her war.
    Wegener nahm eines der Negative und hielt es gegen das Licht. Auch dieses zeigte Gloë als hellen Fleck, ebenso weiß wie all die anderen Tiere, auf die sie hier gestoßen waren. Man sollte, dachte Wegener, ihn als neue Gattung klassifizieren, ein Schneehund, das erste und letzte Exemplar seiner Art. Vor dem weißen Fell zeichneten sich einzelne dunkle Flocken ab, nach denen Gloë mit seinen Alabasterpfoten schlug, ohne eine von ihnen zu treffen. Der Rest des Bildes war vollkommen schwarz. Gloë tanzte durch eine Nacht, die so undurchdringlich war, wie sie seit Monaten keine gesehen hatten.
     
    Sie füllten ihre Flaschen mit Wasser und machten sich auf den weiteren Weg zum Laxefjord. Auch die Pausen reduzierten kaum das Gewicht ihrer Last, einfach weil ihnen fast nichts mehr zum Essen blieb, das von einer Mahlzeit hätte
zum Verschwinden gebracht werden können. Gloë wollte kaum glauben, dass sie nach der Rast aufbrachen, ohne dass Wegener ein Brotende warf oder ihm seine Schale zum Auslecken hinstellte, und sprang ihm jaulend um die Beine. Sie mussten darauf hoffen, dass er sich irgendwo ein Frettchen fing.
    Einmal störten sie einen Alkenvogel auf, der mit schnellem Flattern zwischen den Steinen hervorbrach. Gleich warfen sie ihr Gepäck ab und liefen wie wild dem Tier hinterher, stolpernd, springend,

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