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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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rufend und bellend, am Ende gelang es ihnen, den Alk einzukreisen. Er musste verletzt sein, sonst wäre er davongeflogen, anders ließ sich auch nicht erklären, was er so ganz allein suchte, abseits seiner Kolonie. Er hatte hier draußen ja ebenso wenig verloren wie sie selbst. Nach und nach trieben sie ihn weiter in die Enge. Wegener voran, er nahm sich vor, seinen Anteil Gloë zu lassen, wenn die Jagd gelang. Mit aufgeregtem Flügelschlag versuchte sich der Vogel in die Luft zu heben, aber er kam nicht hoch genug, flatternd stürzte er auf Wegener zu, der bunte Schnabel, die traurigen Augen, sein plumper Leib, nach dem Wegener noch zu greifen versuchte. Ein Aufprall, ein Kratzen in seinem Gesicht, Wegener schreckte zurück, dann war das Tier schon an ihm vorbei und entkommen.
    Es war, dachte Wegener auf dem Weg zurück zu ihrem Gepäck, doch ein Fehler gewesen, ihre Pistole am Depot zu lassen.
     
    Seine Wange schmerzte, wo ihn der Schnabel getroffen hatte. Dann legte sich auch das.
    Wegener hätte nicht sagen können, wie das Gelände aussah, durch das sie in den nächsten Stunden kamen.
Er schaute nur auf den Boden vor sich, auf irgendeinen Stein, auf dem sein nächster Schritt Halt finden konnte. Die anderen hielten es wohl ebenso, manchmal jedenfalls entfernten sie sich in all dem Geröll so weit voneinander, dass sie nahe daran waren, sich aus den Augen zu verlieren. Vier einsame Seelen ohne Zusammenhalt. Hätte Gloë sie nicht von Zeit zu Zeit zueinandergebellt, sie hätten einander verloren, ohne es überhaupt zu bemerken. Es war unmöglich, auf diese Weise den Fjord zu erreichen.
     
    Am Ende aber stießen sie auf einen Pfad, den Rentierjäger ausgetreten haben mochten. Er brachte unendliche Erleichterung, fürs Laufen und für die Zuversicht. So erreichten sie zwei Tage nach ihrem Aufbruch am Depot das Nordufer des Laxefjords. Sie warfen das Gepäck ab, jeder legte sich neben seine Last auf den Boden und blieb so liegen. Nach einer Weile schloss Wegener die Lider, um nicht immerzu diesen leeren, kalten Himmel vor Augen zu haben. In seiner Vorstellung war es eine Wiese, auf der er hier ruhte, und Else lag neben ihm, es war wieder der Moment am Deich, als sie seine Hand genommen hatte. Er suchte ein wenig, erst mit der einen, dann mit der anderen Hand, aber nirgendwo wurde er fündig, er rief etwas und öffnete endlich die Augen. Larsen stand über ihn gebeugt, er sah besorgt aus. Wegener richtete sich auf. Vigfus brachte ihm etwas Wasser.
    Koch war unterdessen zu der Stelle aufgebrochen, an der er bei seinem Vorabmarsch mit Vigfus den Brief deponiert hatte. Leider zeigte sich, dass der Umschlag unberührt war. Sie waren auf sich selber angewiesen.

    Schweigend begannen sie mit dem Bau eines Floßes. Der Fjord mochte an dieser Stelle zwanzig Meter breit sein, aber sein Wasser stand ganz ruhig, grau und bewegungslos, nur der Wind warf von Zeit zu Zeit ein Zittern auf die Oberfläche.
    Als Gerüst diente ihnen der Schlitten, den sie mithilfe der vorausschauend mitgebrachten Überzüge ihrer Schlafsäcke, des Schlittensegels und einiger leerer Petroleumtanks schwimmfähig zu machen versuchten. Wegener unternahm eine letzte Ablesung an Barometer und Hypsometer. Sie litten stark unter den Mücken, die sich hier auf Meeresniveau wie wild aufführten. Es wurde Abend, bis sie ihr Fahrzeug zu Wasser ließen.
    Dicht aneinandergedrängt nahmen sie in der Mitte des Floßes Platz, einander umklammernd, zwischen sich das Gepäck und den Hund, der furchtbar heulte. Mit einer abgebrochenen Kufe paddelte Larsen sie hinaus aufs Wasser. So überquerten sie um Mitternacht vom 11. auf den 12. Juli den Laxefjord.

    Ihre Vorräte waren zu knapp für lange Pausen, so brachen sie am anderen Ufer gleich wieder auf. Doch nun waren sie gewiss, die letzte größere Gefahr überstanden zu haben, und zweifelten nicht daran, in wenigen Tagesmärschen das der Kolonie gegenüberliegende Ufer zu erreichen, so beschwerlich es auch werden mochte. Von dort sollte es ihnen irgendwie gelingen, sich bemerkbar zu machen.
    Sie gingen fünfzig Minuten, dann ruhten sie zehn Minuten aus, Tag wie Nacht. Wenn sie auf diese Weise vier
Stunden vorangekommen waren, kochten sie etwas Wasser ab, was ohne Primus eine langwierige Prozedur war. Als sie die Senke erreichten, die den südlichen Teil des Landes vom inneren trennte, kam Regenwetter auf. In kürzester Zeit waren die Berge, über die ihr Weg führen sollte, in Nebel gehüllt. Mit einem noch vor dem

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