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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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gewesen, das der dänische Minister des Inneren zu Ehren der Expeditionsteilnehmer ausrichten ließ, als er vom Zustand seiner
Mutter erfuhr. Das Essen sagte er ab, den Ritterkreuzorden würden sie ihm nachsenden müssen. Es war Nacht, als er in Berlin eintraf. Else empfing ihn so herzlich, wie es angesichts der Umstände möglich war. Wie oft er sich diese Begegnung ausgemalt hatte, und nun hastete er fast an ihr vorbei zur Mutter.
    Die hob den Kopf, als er eintrat. Immerhin ein Zeichen des Erkennens. Der Vater wachte bei ihr. Dann saßen sie um ihr Bett und sahen auf die Hände der Mutter, die bewegungslos auf der geblümten Überdecke lagen.
    Am nächsten Morgen wanderte Wegener mit Else in den zuständigen Nachbarort, um das Aufgebot zu bestellen. Den Standesbeamten fanden sie auf seinem Kartoffelacker. Er stützte sich auf eine Harke und fragte, ob sie denn belegen könnten, während der langen Trennung nicht längst ein anderes Menschenkind geheiratet zu haben. Else sah zu ihrem Verlobten hinüber, sie selbst hatte ihre Unterlagen dabei, Wegener dagegen hatte in Pröven an alles Mögliche gedacht, aber nicht daran, sich so etwas bestätigen zu lassen. Da schob der Standesbeamte seinen Hut in den Nacken und sagte: »Dass Sie in Grönland waren, Herr Doktor, habe ich in der Zeitung gelesen. Und dass Sie kein Eskimomädchen heiraten, wenn eine so hübsche Braut auf Sie wartet, das glaube ich Ihnen auch.« Wegener unterließ es, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass es dort, wo er gewesen war, von Eskimomädchen nicht eben gewimmelt hatte. Der Standesbeamte fuhr fort, er brauche ihnen über Liebe und Treue nichts vorzulesen, das wüssten sie nach so langer Zeit ohne einander alles selbst. Am Mittag bereits waren sie Mann und Frau.

    Sie bezogen eine kleine, billige Wohnung in der Biegenstraße, am Fuße der Marburger Oberstadt. Morgens stieg Else hinauf zum Markt, kaufte Weißkohl bei den Bäuerinnen, verstand kein Wort von dem, was sie ihr lachend hinterherriefen, und bewunderte im Geheimen die dunkle Schwälmer Tracht.
    Während ihrer Zeit in Oslo war Else bei einer Familie von Hutmachern untergekommen und hatte ganz nebenbei das Handwerk gelernt. Sie war in dem Sommer dort gewesen, als die Dame von Welt Wagenrad trug, einen flachen Hut von monströsem Durchmesser, da war der Familie jede geschickte Hand willkommen. Zu diesen gewaltigen Kopfbedeckungen trugen die Kundinnen Humpelröcke, die so eng geschnitten waren, dass sie es kaum ins Ladenlokal schafften. Wie unbeholfen die Frauen sich vor dem kleinen Spiegel gedreht hatten, sie habe, erzählte Else nach dem Abendbrot, immer in der Nähe gestanden, falls eine beim Trippeln das Gleichgewicht verlor. Auf dem Bahnhof von Oslo hätten sie in diesem Jahr zusätzliche Stufen angebracht, um den Damen den Ausstieg zu erleichtern.
    Was er alles nicht mitbekommen hatte. Wegener war froh, in dieser Zeit aus der Welt gewesen zu sein.
    Dann hätten sie, sagte Else, von den Suffragetten gelesen, die in London Schaufenster einwarfen. »Anfangs habe ich geglaubt, es sei ein norwegisches Wort, das ich einfach nicht verstand. Die Blätter sind voll davon gewesen. Wütende Frauen, rauchende Frauen, Frauen ohne Hüte. Morgens beim Hutmacherfrühstück die sorgenvollen Blicke. Niemand konnte sich vorstellen, dass diese Mode es bis Oslo schaffte, aber man musste mit allem rechnen. Der Meister entschied, die Hüte ab sofort noch ein wenig
ausladender und teurer zu machen, um etwas auf die Seite legen zu können.«
    Else sagte, ihr sei anfangs nicht ganz klar gewesen, wofür oder wogegen die Suffragetten kämpften. Es ging um gleiche Rechte und Wahlbeteiligung, sie waren wie berauscht, aber offenbar war es mehr als das. Am Ende habe sich eine von ihnen dem englischen König vors Pferd gestürzt, woran beide kurz darauf verstorben seien.
    »Der König?«, fragte Wegener. Er war wirklich abgeschnitten gewesen von der Welt.
    »Nein«, sagte Else, »das Pferd.« Sie zog an ihrer Zigarette. »Und die Frau.«
     
    Else rauchte jetzt auch. Probehalber, wie sie es nannte. Wenn sie spätabends in ihrem winzigen Salon saßen, er mit der Pfeife, sie mit ihrer kleinen Zigarettenspitze, war die Luft bald so dick wie in einem zwielichtigen Hinterzimmer.
    Wenn sie ehrlich waren, sah die ganze Wohnung aus wie ein Hinterzimmer. Am Küchenfenster trocknete die Wäsche. Ihr gemeinsames Bett war dicht umstellt von den Stapeln mit Wegeners Büchern, an der Wand darüber hing ein gelbliches Eisbärenfell.

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