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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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Regen gesammelten Haufen trockener Weidenzweige und Heidekraut kochten sie ihren letzten Pemmikan und teilten sich eine Dose Milch und die vier verbliebenen Stücke Schiffsbrot.
    Dann der Aufstieg. Es war komplizierter als erwartet. Statt eines Hochplateaus erwartete sie ein bergauf und bergab führendes gebirgiges System aus Tälern und Höhen, von denen ihnen namentlich Letztere zusetzten. Es regnete mittlerweile in Strömen. Hin und wieder legten sie sich unter einen Stein, der ihnen Schutz vor dem Wetter bot, aber sie waren so nass, dass die Kälte sie bald weitertrieb. Ohne Sonne war es schwer, die Himmelsrichtung einzuhalten. Erst recht, da die Karte sich als unzuverlässig erwies, vor allem die Bergsignaturen führten regelrecht in die Irre. So blieb ihnen, als sie vor sich den Arm eines weiteren Fjordes sahen, nichts übrig, als hinunter ans Ufer zu steigen, um ihn anhand seiner Form auf der Karte zu bestimmen. Dies aber misslang. Der Fjord war auf ihrer Karte nicht verzeichnet.
    Eine Weile lang folgten sie der Küste, die hier ausgesprochen buchtenreich war. Der liebe Gott mochte wissen, wo sie sich befanden, sie selber wussten es nicht. Endlich erkannte Koch den im Plan verzeichneten Fünfhundert-Meter-Berg, dessen steile Abstürze bis hinunter ans Meer reichten. Sie erwiesen sich als unpassierbar.

    Sie würden ihn überqueren müssen, trotz des Nebels. Ohne vorherige Pause machten sie sich an den Aufstieg, aber bald zeigte sich, dass ihre Kräfte nicht genügten. Vigfus’ Gesichtsfarbe wurde zusehends blasser, was Wegener anfangs auf den Nebel schieben wollte, bis Vigfus erklärte, nicht mehr weiterzukönnen. Er sei einer Ohnmacht nahe.
    Also machten sie auf halber Höhe halt, in exponierter Lage, es war ihnen allen recht. Nachdem sie sich mit Kampfertropfen gestärkt hatten, gelang es ihnen mit einiger Mühe, etwas Wasser zu wärmen, in das sie die restliche Kondensmilch gaben. An dieser Stelle, auf halbem Wege zwischen Erde und Himmel, verzehrten sie ihren letzten Proviant. Das Brennmaterial war so nass, dass ihnen die Zubereitung dieser Mahlzeit eine Stunde Rast verschaffte. Keinem von ihnen war nach Eile zumute. Erst die Kälte trieb sie weiter.
    Der Regen war unterdessen in Schnee übergegangen. Sie nutzten jeden überhängenden Fels zur Erholung und kamen dazwischen so langsam vorwärts, dass sie bisweilen zweimal unter demselben Überhang rasteten.
    Endlich beschloss Koch, sie sollten sich einen Schutz bauen, um darin besseres Wetter abzuwarten. Unter einer überstehenden Felswand saßen sie nebeneinander, von Zeit zu Zeit stand jemand auf, um einen weiteren Stein zu holen. So errichteten sie im Laufe des Abends einen halbmeterhohen Wall, hinter dem sie, als er noch mit Heidekraut abgedichtet und mit dem Schlittensegel bedeckt war, alle vier in stark gekrümmter Haltung liegen konnten.

    Hier lagen sie von der Mitternacht des 13. auf den 14. Juli für den Rest der Nacht, den folgenden Tag und die ganze nächste Nacht in ihren völlig durchweichten Sachen, während es draußen schneite und schneite.
    Die anderen schliefen viel in dieser Zeit, während Wegener vor Kälte nicht in den Schlaf fand, obwohl Gloë auf ihm lag und ihn ein wenig wärmte. Essen hätte etwas Abwechslung gebracht. Vigfus sang leise vor Hunger. Koch, der sonst so bedürfnislose, fragte mit geschlossenen Augen, ob er ein Kalbskotelett mit Stangenspargel bekommen könne.
    Wegener lag einfach da und sah hinaus in die Folge der Flocken, die je nach Einfall des Lichts dunkel vor hellem Himmel fielen oder hell vor dunklem. Er fragte sich nicht, was sie hier eigentlich taten, wie es kam, dass sie hier lagen, und wohin sie von hier aus gelangen sollten, aber er hätte es, wäre er stark dafür gewesen, gerne getan. Manchmal erzitterte Gloë im Schlaf und winselte. Wegener durfte nicht daran denken, von welchen Festmahlen sein Hund träumen mochte, von welchen Jagden und von welcher Beute. Er verbrachte Stunden damit, das Fell des Tieres zu streicheln.
    Nur an seinen eigenen kurzen Träumen konnte er ablesen, dass er für Momente wohl selber eindämmerte. Wilde Bilder, in denen er den flachen Strand eines Ozeans entlanglief, seinen Blick fest auf den Rand des grauen Meeres gerichtet. Er wusste, dass auf der anderen Seite des Wassers sein Glück lag, das in diesem Fall aus einem Karussell bestand, welches sich von Zeit zu Zeit über den Horizont erhob, ein Kinderkarussell, wie es sie auf Jahrmärkten gab, es drehte und drehte sich in

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