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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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ersten Gefecht ein glatter Durchschuss im Unterarm, leider blieb der Daumen steif. Im Lazarett der Blick des diensthabenden Arztes, als Wegener darum bat, am Rand liegen zu dürfen, das Stöhnen seiner Kameraden raube ihm den Schlaf. Er kam in die Obhut einer Nonne aus dem Bergischen Land und malte sich nächtelang aus, welche Farbe ihr Haar unter der Haube hatte.

    Vor Reims fand er sein Regiment wieder. Die Kathedrale, der Kalkboden, in den sie sich mannstief eingruben. Am Fuße des Grabens schanzten sie Nischen nach dem Feinde zu. Dort hinein legten sie sich, als nachmittags um drei die ersten Granaten einschlugen. Wegener presste die Hände auf die Ohren. Nach Ende des Gefechts war bis auf einen herrenlosen Helm niemand getroffen, aber der moralische Eindruck war groß. Am Glockenturm wehte noch immer die Rotkreuzflagge.
    Es gelang Wegener nicht auf Anhieb, eine Leidenschaft für den Krieg zu entwickeln. Er selbst schob es darauf, weniger empfänglich für die Massensuggestion zu sein. Dennoch gab er sich Mühe, ein guter Soldat zu werden. Sie wurden weiter nach Westen verlegt. Hier erreichte ihn eine Karte mit der Mitteilung, dass sein Kind geboren sei. Eine Tochter, sie hieß Hilde. In einer Gefechtspause stießen die Kameraden mit ihm an. Einer von ihnen, ein dünner Schlaks aus der Pfalz, den sie seiner hervortretenden Augen wegen Glotz nannten, ließ es sich nicht nehmen, einen Salut in den wolkenlosen französischen Himmel abzugeben, den die feindlichen Stellungen sofort mit einem Schrapnellgewitter beantworteten.
    Flach auf dem Boden seines Grabens liegend, das Gesicht in die Ellenbeuge gepresst, sagte Wegener ihren Namen vor sich her, Hilde. Ein schöner Name.
     
    Eine Karte mit der Nachricht, Hilde habe seinen schmalen Mund geerbt. Sie trinke zurückhaltend und schlafe viel.
    Wochen in immer weiter westlich liegenden Gräben, mit dem Geruch von Brand, Verwesung und Karbol in der Nase.

    Eine Karte meldete, das Verlangen der Kundschaft nach applizierten Fähnchen nehme ab.
    Eine weitere Karte mit der Mitteilung, Hilde habe einige Tage ein schlimmer Durchfall gequält, nun sei sie auf dem Wege der Besserung.
    Auch er litt an Durchfall, aber das ergab noch keine Antwort.
    Eine neuerliche Karte, das Geschäft gehe nun geradewegs schlecht. Die Rückseite zeigte den Blick vom Marburger Schloss nach Süden, die Aussicht, die er aus dem Fenster der Institutsbibliothek gehabt hatte. Am Fuß der Oberstadt meinte Wegener ihr Haus erkennen zu können. Er nahm seinen Bleistift, schrieb »Meine liebe, liebe Else« auf die leere Feldpostkarte, suchte nach Worten, wartete, suchte weiter und zog derweil die Linien seiner Anrede immer tiefer nach, bis am Ende die Bleistiftspitze brach.

    Die Chaussee nach Achiet le Petit, auf der sie marschierten, zwischen dem Blätterwerk der Sternenhimmel so kalt und klar wie in einer Polarnacht. Das Dorf noch in tiefstem Frieden. An einigen Pferdekadavern vorüber zu einem steilen Hang, bei dem sie Stellung bezogen. Allmählich wurde es Tag. Ein Vorstoß auf das Dorf und die Antwort aus den Hecken gegenüber. Buchenhecken im Wesentlichen, auch Weißdorn und Buchsbaum. Die hellen Wolken der Schrapnells in Höhe der Baumkronen, die braunen Wolken, wo die Granateinschläge den Boden aufwirbelten. Die im Ganzen zersplitternden Bäume. In der Abenddämmerung stürmten sie das Dorf, worauf
die gegnerische Artillerie es mit Feuer überzog. Die einbrechende Dunkelheit setzte dem Spuk ein Ende. Unbehelligte Nacht am Ostrand der Siedlung, wo unter offenem Himmel Strohmieten standen.
    Morgens ging es auf Puisieux, langer Beschuss. Die Kugeln, die weit oben über sie hinwegzogen, verursachten einen ganz reinen, singenden Ton, der lange zu hören war. Je näher die Kugeln am Ohr vorüberkamen, desto kürzer und schärfer wurde ihr Pfiff. Ganz aus der Rolle fielen die Querschläger, die mit lärmendem Summen angetanzt kamen, so dass man sich unwillkürlich nach ihnen umsah. Hier vor Puisieux fiel Glotz, in Erwartung des Sturms, die großen Augen offen zum Himmel gerichtet.
    Mittags ging die achte Kompanie zu ihrer Rechten zum Angriff über. Sie fielen wie die Fliegen. Gerade als es an Wegeners Kompanie war, hinterherzustoßen, schlug die eigene Artillerie los, deren bisherige Hauptleistung es gewesen war, am Ende des Angriffs ebenfalls eine Lage Schrapnells in die Linie der voranstürmenden Kameraden hineingesetzt zu haben. Wenn der Pulverdampf dichter lag, liefen sie vorwärts. Wenn sich der Rauch

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