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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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Wegener gratulierte: Es sei ihm Ehre und Pein zugleich, dass ein Professor der kosmischen Physik einem Wettermann Anerkennung für eine gänzlich physikalische Leistung zollen müsse. Andererseits: Meteor, Meteorologie, der Name deute ja an, dass das womöglich näherliege als vermutet. Wegener lächelte schmal.
    Förster Huppmann wurde seine Belohnung an Ort und Stelle ausgehändigt. Er hatte kaum leichter daran zu tragen als die Gehilfen an dem Stein.
     
    Nach Beendigung des Krieges würde man ihn zerschneiden und die Stücke untersuchen. Vorerst fehlten dazu die Arbeitskräfte.

Das Wesen der Baumgrenze
    Die Bläschen schillerten munter, regelrecht vergnügt. Jedes einzelne von ihnen warf einen Ausschnitt der Welt zurück, der sich winzig und verzerrt auf seiner spiegelnden Oberfläche zeigte. Wegener nahm den Löffel aus seiner Tasse und beugte sich tiefer hinunter. Schemenhaft erkannte er sein Gesicht, vervielfältigt im Schaum des heißen Getränks. Es sah alt aus, was an der Färbung der Flüssigkeit liegen mochte. Wenn er den Kopf bewegte, wackelten all die Köpfchen, die dort auf dem Kaffee kreisten. Wofür hielten sie ihn? Für ein übermächtiges Wesen, das die einen ängstigte und den anderen gleichgültig war?
    Eine der Blasen, die am Rand der Zusammenballung schwamm, nahm er sich genauer vor und versuchte die Spiegelung seiner Augen darin auszumachen, aber sie gaben sich nicht zu erkennen. Als Wegener sich so tief hinunterbeugte, dass er fast mit der Nasenspitze daran stieß, platzte das Bläschen. Erschrocken fuhr er zurück. Im Moment vor der Zerstörung war für einen Augenblick das Glänzen verschwunden, die bunten Schlieren blieben stehen, die eben noch spiegelnde Haut war plötzlich stumpf geworden, um gleich darauf mit einem winzigen Knistern zu zerspringen.
    Als sei nichts gewesen, nahmen benachbarte Blasen den frei gewordenen Platz ein und drehten sich mit der Flüssigkeit
weiter. Im Kreisen zerriss die kleine Ansammlung, die Stücke trieben hinaus aus der Mitte, bis sie am Ende ganz verteilt waren. Jedes der Bläschen klebte allein am Rand der Tasse, nur einzelne drifteten noch immer ziellos über das kleine, braune Meer. Wegener rührte noch einmal um und leerte die Tasse mit einem einzigen Schluck.
     
    Es schmeckte entsetzlich. Else war der Meinung, zu einem richtigen Leben gehöre eine Tasse Kaffee, und wenn es richtigen nicht gebe, tue es ein falscher ebenso. Sie wurde nicht müde, neue Rezepte auszuprobieren, mit Zichorie, mit Bucheckern, mit Eicheln. Dem Geschmack nach hatte sie diesmal noch Löwenzahn dazugetan.
    Wegener hörte sie im Nebenzimmer Klavier spielen, wie jeden Nachmittag. Sie spielte auswendig, weil sie das Notenbild nicht mehr gut erkannte. Immer Richard Wagner, immer diese Bearbeitungen für das Pianoforte, als ginge das zusammen. Manchmal fragte er sich, was wohl passieren müsste, damit sie damit aufhörte. Wegener hatte die Stücke so oft gehört, dass er sie wohl bald selber spielen konnte.
    Vor ihm auf dem Tisch lag ein Blatt Papier. Es war ein Jahr her, dass er seinem Vater geschrieben hatte, im Sommer 1917, und dies also war nun die Antwort.
    »Unsere Tochter«, hatte er damals geschrieben, »ist nun schon einige Jahre alt und noch immer ein so kleines Geschöpf. Wie lange es dauert, bis der Mensch seiner Dummheit entwächst. Ich denke nicht, dass wir weitere Kinder haben werden.«
    Er hatte es nicht böse gemeint, weder Else noch Hilde gegenüber, es richtete sich nicht gegen seinen Vater und am wenigsten gegen den lieben Gott, jedenfalls war es
nicht seine Absicht gewesen, jemanden zu kränken. Erst als kein Gegenbrief eintraf, war Wegener aufgegangen, wie sehr seine Abwehr des Familiären den Vater getroffen haben musste.
    Nun lag das Telegramm vor ihm, das meldete, der Vater sei am Johannistag gestorben. Wegener hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen.
     
    Als sie in Zechlinerhütte eintrafen, saß die Mutter in ihrem Rollstuhl im Schatten der Veranda. Durch die Bäume schimmerte der See. Die rundliche Pflegerin nahm Wegener zur Seite und erklärte die Lage: »Morgens wird die gnädige Frau hinausgebracht, den Tag über sitzt sie einfach dort, am Abend rolle ich sie wieder hinein.« Er drückte der Frau einige Münzen in die Hand.
    Das Gespräch mit dem Arzt war ähnlich kurz. Anfangs habe der Vater nur immerzu gefroren. Kein gutes Zeichen, aber für ihn als Mediziner kein Anlass zur Sorge. Dann sei es schnell gegangen: »Brei, dann Suppen, später nicht

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