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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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Celia.
    »Das ist noch viel, viel länger hin.«
    »Ganz viele Jahre?«
    Ich nickte. »Ja, mein Schatz. Gaaaanz viele Jahre, so viele, wie du dir gar nicht vorstellen kannst.«
    »Und du und Papa, ihr lebt wirklich auch noch ganz lange?«
    »Natürlich tun wir das! Wir wollen dich doch aufwachsen sehen und auf deiner Hochzeit tanzen!« Da kicherte Celia. Neben dem Sterbethema war auch Heiraten von großem Interesse, denn sie war ein bisschen in ihren Kindergartenfreund Bennet verliebt. »Denkst du, dass du jetzt wieder schlafen kannst?«, fragte ich, und meine Tochter nickte tapfer, schnappte sich Murmel und ließ sich zusammen mit ihm im Arm zurück aufs Kissen sinken. Ich beugte mich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf die noch immer feuchte und glühende Stirn.
    »Bitte das Licht anlassen!«, bat Celia, als ich im Hinausgehen eine Hand auf den Schalter an der Wand legte.
    »Kannst du dann überhaupt schlafen?«
    »Ich glaub schon.«
    »Okay, dann bleibt es an«, sagte ich und wollte die Tür schließen, ließ sie aber auf Celias Bitte hin offen.
    »Was war denn los?«, murmelte Christopher schlaftrunken, als ich wieder neben ihm unter die Decke krabbelte.
    »Sie hat nur schlecht geträumt«, sagte ich, rutschte dicht an ihn und legte meinen Kopf auf seine Schulter. »Denkt mal wieder über das Sterben nach.«
    »Das ist nur die Aufregung. Heute ist sie zum ersten Mal richtig gesurft, morgen ist die Einschulung – da ist sie wohl ein bisschen durch den Wind.«
    »Meinst du?« Du bist ja ein echter Chefpsychologe!« Ich kniff ihn fest in die Seite.
    Christopher schrie auf, warf sich herum, sodass er plötzlich auf mir lag, und hielt meine Arme mit beiden Händen fest. »Mach das ja nicht noch einmal!«
    »Was sonst?«
    »Sonst … passiert das hier!« Dann fing er an, mich gleichzeitig zu küssen und durchzukitzeln, und ich gab mir Mühe, nicht allzu laut zu lachen, damit Celia oben nicht wieder aufwachen würde.
    »Ich liebe dich«, flüsterte Christopher mir ins Ohr, als wir uns im Morgengrauen dicht aneinanderkuschelten, um wenigstens noch ein Stündchen Schlaf zu finden.
    »Ich liebe dich auch!«
    Sie knetet das Taschentuch, das Dr. Falkenhagen ihr irgendwann im Verlauf der vergangenen Stunde gereicht haben musste. Obwohl sie sich nicht daran erinnern kann, wie und wann genau er es ihr gegeben hat. Mittlerweile besteht es nur noch aus Fetzen; feuchten, grauen Fetzen, ein bisschen wie Pappmaschee, diese klebrige Masse, die sie im Kindergarten zusammengerührt haben, wenn es Ende Oktober Zeit war, Laternen für den Martinsumzug zu basteln.
    Eine große Schweinerei war das immer, eine große, wunderschöne Schweinerei, das Klecksen und Tropfen und Spritzen, am Ende war mehr Brei quer durch den Raum verteilt, als auf den Luftballons klebte, die als Form für die Laternen dienten. Erst auftragen, dann trocknen lassen, dann anmalen, dann den Ballon zum Platzen bringen und hoffen, dass das Kunstwerk dabei nicht kaputtging. Mehr als einmal hat Marie verzweifelte Tränen trocknen müssen, weil eine Bastelarbeit in sich zusammengefallen war. So, wie sie jetzt gerade ihre eigenen Tränen trocknet, weil ihr klar wird, dass ihr Leben genauso in sich zusammengefallen ist wie eine fragile Laterne. Einfach »Puff« und aus. Mein Licht geht aus, ich geh nach Haus, rabimmel, rabammel, rabumm.
    »Zu spät«, flüstert Marie. »Zu spät.«
    »Zu spät wofür?«, fragt der Arzt, aber Marie antwortet nicht. »Möchten Sie noch weitererzählen?« Er sieht sie auffordernd an. Die Uhr auf seinem Schreibtisch sagt ihr, dass sie weit länger geredet hat als die fünfzig Minuten, die für Einzelsitzungen in dieser Einrichtung hier vorgesehen sind. Weit länger, als sie es überhaupt vorhatte, denn bis vor einer guten Stunde hatte sie noch gar nichts sagen wollen.
    »Nein«, sagt sie. »Jetzt bin ich wirklich müde.« Dr. Falkenhagen nickt verständnisvoll, es ist der gleiche Blick, mit dem er vor Kurzem Susanne betrachtet hat. Nun ist Marie auch brav gewesen, denn sie hat endlich etwas gesagt, damit ist sein psychologischer Auftrag für heute erfüllt, und er kann sie zufrieden zurück in ihr Zimmer gehen lassen.
    »Gut«, erklärt er. »Aber ich bin froh, dass wir einen Anfang gemacht haben.« Ein Anfang am Ende.
    Tatsächlich fühlt Marie sich etwas besser, als sie am nächsten Morgen vom Pflegepersonal geweckt wird. Der Alb, der sonst wie eine schwere Last auf ihrem Brustkorb hockt, sobald sie die Augen aufschlägt, sie

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