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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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und Wohnungstür überprüfen, irgendwas?«
    »Nein.« Sein Stift wandert wieder über das mittlerweile gut gefüllte Papier, eng fügt sich eine Zeile unter die nächste.
    »Eine irrationale Angst vor Keimen? Stundenlanges Händewaschen oder Duschen? Panik davor, anderen Menschen die Hand zu schütteln oder ungeschützt eine Türklinke anzufassen?«
    »Was soll das?« Wieder brandet Wut in ihr auf. »Das habe ich nicht und hatte es auch nie! Wollen Sie mich kranker reden, als ich bin?« Er hebt abwehrend die Hände.
    »Nein, natürlich nicht, ich will Ihnen helfen. Aber dazu gehört eine ausführliche Anamnese, bisher tappen wir einfach noch ziemlich im Dunkeln.«
    »Das, was ich erlebt habe, ist weit schlimmer, schrecklicher und unvorstellbarer als alles, was Sie hier auflisten! Es ging nicht um blödes Händewaschen oder den Herd kontrollieren oder Gemüse nach einem Schema kaufen!«
    »Dann erzählen Sie mir bitte, worum es ging.«
    »Das wissen Sie doch schon längst«, ruft Marie aus. »Sie wissen alles, alles, alles! Sie haben doch die Akten, die Aufnahmen auf meinem Handy, alle Beweise! Sie wissen doch längst, dass ich besessen bin! Dass da ein Dämon in mir ist, der mich dazu bringt, Menschen zu töten!« Sie starrt ihn an, seine Miene bleibt unbekümmert, und das macht es fast noch schlimmer.
    »Ich weiß das, was nach außen hin sichtbar ist«, erklärt er. »Aber mich interessiert viel mehr das, was unter der Oberfläche liegt, was man nicht auf Anhieb erkennen kann. Und deshalb freue ich mich, wenn Sie mir davon erzählen, mich teilhaben lassen an dem, was in Ihnen vor sich geht. Nur dann kann ich helfen.«
    Zu spät, wieder ist der Gedanke da. Es ist, verdammt noch einmal, zu spät! Abrupt schiebt Marie ihren Stuhl zurück und steht auf.
    »Heute nicht. Für heute habe ich genug geredet.«

4
    I n den nächsten vier Tagen will Marie nicht mehr mit Dr. Falkenhagen sprechen. Zu sehr aufgewühlt, zu wund gerieben haben sie diese Gespräche, die alles wieder an die Oberfläche holen. Diese Oberfläche, unter die der Arzt so gern sehen möchte, und die für Marie doch aber der einzige Schutz bedeutet. Der Druck ist immer noch geringer als zuvor, das ja, aber sie ist sich nicht sicher, wie viel an Erinnerung sie überhaupt ertragen kann.
    Christopher hat ihr vor zwei Tagen einen langen Brief geschickt, in dem er noch einmal betont hat, dass er für sie da ist, wenn sie es wünscht und ihn braucht. Als sie ihn las, fühlte es sich an wie eine klaffende Wunde. Denn in den handgeschriebenen Zeilen entdeckte Marie wieder den Mann, den sie so viele Jahre geliebt, dem sie vertraut hatte. Mit dem zusammen sie Bach gehört hatte, abends, wenn sie sich unter der warmen Decke ganz dicht aneinanderkuschelten und noch ein bisschen flüsterten über das, was tagsüber alles passiert war. Und mit dem sie bis ans Lebensende hatte zusammenbleiben wollen. Das hatten sie sich immerhin einmal versprochen, bis dass der Tod uns scheidet. Wie hatten sie auch ahnen, wie auch nur im Ansatz vermuten können, dass es nicht ihrer oder Christophers, sondern der von Celia sein würde?
    »Du bist Marie, oder?« Wie so oft sitzt sie im Innenhof mit einer Zigarette in der Hand, als das rothaarige Mädchen, Hannah, vor ihr steht. Marie nickt.
    »Ja«, sagt sie. »Setz dich doch.« Das Mädchen zögert kurz, dann nimmt es auf der Bank neben ihr Platz. »Möchtest du?«, fragt Marie und hält Hannah das Päckchen West Silver hin. Sie schüttelt den Kopf.
    »Nein danke, wir – «, sie stockt, setzt neu an: »Ich rauche eigentlich nicht.«
    »Okay.« Marie schiebt die Schachtel zurück in ihre Jackentasche, dann sitzen beide Frauen eine Weile schweigend nebeneinander, blicken einträchtig auf die als Himmel getarnte Betonmauer. »Dein Name ist Hannah?«, will Marie schließlich wissen.
    »Auch.«
    »Auch?«
    »Das ist schwer zu erklären. Am besten nennst du mich wirklich Hannah, darauf höre ich immer, egal, wer von uns gerade vorn ist.«
    »Okay.« Wieder Schweigen, während Marie sich fragt, was für ein seltsames Mädchen das ist. Sie hat schon einmal etwas über multiple Persönlichkeitsstörung gelesen, die Krankheit aber eigentlich immer für ein Ammenmärchen gehalten. Umso verstörender empfindet sie nun Hannah, die von »uns« und »vorn« spricht. Ob das nur gespielt ist? Etwas anderes kann Marie sich nur schwer vorstellen, als dass die junge Frau sich das alles ausdenkt, um als »Kranke« einer »normalen« Bestrafung in einem

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