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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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musterte.
    »Aber der steht ja mitten auf der Straße«, sagte sie. »Was, wenn er von einem Auto überfahren wird?«
    »Das passiert nicht«, sagte ich, »wer ein Auto hat, kennt auch die Zeichen.« Im nächsten Moment senkte der Polizist den Arm, drehte sich seitlich zu uns und begann, uns über die Straße zu winken. »Es ist eigentlich ganz einfach: Wenn du Brust oder Rücken vom Polizisten siehst, musst du stehen bleiben. Dreht er sich zur Seite und winkt, darfst du losgehen. Kann man sich ganz leicht merken.« Dann zitierte ich einen Spruch, der wie aus dem Nichts in meinem Gedächtnis auftauchte: »Siehst du Schutzmanns Brust und Rücken, Bremse drücken – siehst du die Naht, gute Fahrt!« Celia kicherte und wiederholte den Reim.
    »Ist ja pupsi einfach«, sagte sie dann ein wenig altklug. Wir überquerten die Straße, meine Tochter schob ihren Roller neben sich her und winkte dem Polizisten zu, der ihren Gruß erwiderte.
    »Pupsi einfach, das hat sie gesagt.« Marie betrachtet die Tropfen, die sich auf der weißen Tischplatte vor ihr gesammelt haben und zu einem kleinen See zusammengelaufen sind, die Tränen müssen ihr einfach so und unbemerkt aus den Augen gefallen sein.
    »Was ist dann passiert?«, fragt Jan Falkenhagen und reicht Marie ein neues Taschentuch.
    Der Tag im Kindergarten war besonders stressig. Manchmal gab es so Zeiten, da schienen sich alle Knirpse miteinander abgesprochen zu haben, uns Erzieher an den Rand des Wahnsinns zu treiben, und an diesem Tag war es so. Kaum hatte ich mit der Arbeit begonnen, mussten meine Kollegin Jennifer und ich schon einen Streit zwischen zwei Jungs schlichten, während sich vier Mädchen im Spielzimmer um ein und dieselbe Puppe kloppten. Der Geräuschpegel schwoll zwischendurch aufs nahezu Unerträgliche an, und ich hatte schon ein leises Klingeln auf den Ohren. Trotzdem war ich noch bemüht, ruhig und besonnen zu bleiben und keinen der kleinen Racker anzubrüllen. Das fiel nicht immer leicht, vor allem in Situationen wie dieser, wenn alle auf einmal verrücktspielten, aber mit Geschrei würde ich auch nichts bewirken, außer, dass die Kinder noch mehr aufdrehten.
    Als ich irgendwann Anton dabei erwischte, wie er die Sportsachen von Lukas aus dessen Turnbeutel geklaut hatte und gerade dabei war, sie mit einer Bastelschere in kleine Streifen zu zerlegen, hatte ich allerdings einige Mühe, nicht die Beherrschung zu verlieren. Ich verstand schon, dass manchen Kollegen mal die Hand ausrutschte, auch wenn mir das bisher noch nie passiert war. In solchen Momenten war ich allerdings kurz davor, Ohrfeigen auszuteilen, vor allem als Lukas sich auf Anton stürzte und der Angegriffene dabei so unglücklich gegen eine Tischkante stolperte, dass es laut rumste und die Stirn des Jungen aufplatzte.
    Anton schrie wie am Spieß, Blut rann ihm in Strömen über das Gesicht. Kopfwunden sind immer besonders hässlich und bluten so stark, dass man sonst was befürchtet. Zwar wusste ich das, aber trotzdem wurde mir bei dem Anblick ganz flau im Magen. Lukas wurde kreidebleich und fing vor Schreck an zu weinen, innerhalb von Sekunden tobte ein noch größerer Tumult unter den restlichen Kindern, die natürlich alles mitbekommen hatten, ein heilloses Geschrei brach los.
    »Jennifer!«, brüllte ich nach meiner Kollegin, die gerade im Nebenraum damit beschäftigt war, die Bastelsachen vom Morgen wegzuräumen.
    Sie kam angerannt und fluchte, als sie Antons blutenden Kopf sah. Auch er heulte jetzt hemmungslos und rollte sich auf dem Boden hin und her, überall verteilten sich rote Schlieren übers Linoleum. Jennifer ging zu ihm in die Hocke und nahm den schluchzenden Jungen in den Arm, strich ihm durchs Haar, während ich versuchte, Lukas zu beruhigen und gleichzeitig die anderen Kinder in Schach zu halten, indem ich sie anwies, rüber ins Spielzimmer zu gehen und sich dort bitte leise zu beschäftigen. Zwecklos, natürlich, sie hörten mir nicht einmal zu, sondern plärrten in wildem Geschrei weiter durcheinander.
    »Lass mal sehen«, sagte Jennifer, nachdem Anton sich einigermaßen gefangen hatte, und inspizierte die Wunde. »Die muss genäht werden«, sagte sie und wollte ihn zum Arzt bringen. Ich sollte inzwischen die Eltern anrufen.
    »In Ordnung«, sagte ich und merkte, dass meine Stimme leicht zitterte, auch mir war der Schreck in die Glieder gefahren, denn da war einfach so viel Blut. Gleichzeitig warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr. Es war schon Viertel vor eins, und eine

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