Alles muss versteckt sein (German Edition)
halbe Stunde später würde ich Celia abholen müssen. Unsere Kollegin Tanja hatte an diesem Tag Frühdienst und war schon zu Hause, die anderen drei Gruppen waren draußen, sodass ich unmöglich wegkonnte, denn sonst wären die Kinder ohne Betreuung. »Beeilst du dich, bitte?«, sagte ich zu meiner Kollegin.
Jennifer machte sich mit Anton auf den Weg, ich selbst schaffte es irgendwie, die anderen zu beruhigen. Nachdem ich Antons Mutter informiert hatte, rief ich in der Schule an, erreichte aber niemanden, und die Liste mit den Telefonnummern der Eltern von Celias Schulkameraden hing bei uns zu Hause am Kühlschrank. Da hing sie gut, wirklich gut, denn so konnte ich niemanden darum bitten, meine Tochter für mich abzuholen.
Fünfzehn Minuten später traf Antons aufgeregte Mutter ein, die ich gleich rüber zum Kinderarzt schickte, um zwanzig nach eins nahm endlich jemand im Schulsekretariat ab, der mir versprach, sofort runter vors Gebäude zu laufen, um nach Celia zu sehen und sie reinzuholen, damit sie vor dem Sekretariat auf mich warten würde.
»Pupsi einfach«, wiederholte ich wie ein Mantra die Worte meiner Tochter vom Morgen und sagte mir, dass ich nicht hysterisch werden sollte, sie war ja schon ein großes Mädchen. Trotzdem rannte ich sofort los, als zehn Minuten später eine andere Mutter, die ihr Kind abholen wollte, dazu bereit war, kurz die Aufsicht der Gruppe zu übernehmen. Eigentlich war das nicht erlaubt, aber darauf konnte und wollte ich in diesem Moment keine Rücksicht nehmen.
Während ich den Eppendorfer Weg runterlief, atemlos und mit Seitenstichen, sah ich zwischendurch immer wieder auf mein Handy, hoffte, dass es gleich klingeln würde und die Schulsekretärin dran wäre. Doch es blieb stumm, und langsam breitete sich in mir Panik aus. Sie musste Celia doch längst vor der Schule eingesammelt haben, wieso rief sie mich nicht an? Ich wählte erneut die Nummer des Sekretariats, aber das Klingeln verhallte ungehört in der Leitung. Wieder ein Blick auf die Uhr, zwanzig vor zwei, um diese Zeit wäre meine Tochter normalerweise längst im Kindergarten angekommen. Und was, jagte mir plötzlich ein neuer Gedanke durch den Kopf, wenn sie einen anderen Weg als sonst genommen hat und ich sie verpasse? Wenn sie doch mit ein paar Freundinnen gegangen ist? Aber dann wäre es ja gut, dann würde ich von der Schule direkt wieder zurücklaufen und sie wäre im Hort.
Vollkommen erschöpft erreichte ich den Ring, der Schweiß lief mir in regelrechten Sturzbächen herunter, mein T-Shirt klebte mir am Körper. Ich sah rüber zur Schule, scannte das Gebäude und die gesamte Straße, zwei oder drei Einfahrten mit den Augen ab, aber weit und breit keine Spur von meiner Tochter. Auch nicht von der Sekretärin, die mir versprochen hatte, Celia zu suchen und mit reinzunehmen, der Rotklinkerbau lag einsam und verlassen, nahezu ausgestorben vor mir. In diesem Moment klingelte mein Telefon, erleichtert erkannte ich die Nummer vom Schulbüro und ging ran.
»Ich habe sie nirgends gefunden«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung, und mir sackte das Blut in die Knie. »Sie muss schon allein losgegangen sein.« Ich beendete das Gespräch und machte auf dem Absatz kehrt, wollte schnell wieder zurück zum Kindergarten.
»Mami!« Als ich Celia rufen hörte, fuhr ich herum, die Erleichterung durchspülte mich wie eine warme Welle. Sie war auf der anderen Straßenseite, ein paar Meter von der Schule entfernt, da, wo der Kiosk ist, und selbst auf die Entfernung konnte ich erkennen, dass sie verstohlen kaute. Natürlich war mir das in diesem Moment egal, ich war einfach nur froh, sie gefunden zu haben, und winkte zu ihr rüber. Sie setzte einen Fuß auf ihren Tretroller und fuhr los, ihre Zöpfe flogen im Fahrtwind auf und ab, als sie den Bürgersteig entlanggeprescht kam.
»Nicht so schnell!«, rief ich ihr warnend zu, blieb an der Kreuzung stehen, um darauf zu warten, dass der Polizist mich auf die andere Straßenseite winken würde.
Maries Stimme bricht ab, sie kann nicht weitererzählen, das kann sie nicht. Nicht noch einmal von diesem Moment berichten, sich in Erinnerung rufen, was sie doch so gern vergessen würde. So sehr vergessen möchte, als ob es nie passiert wäre. Denn es darf einfach nicht sein, es darf nicht sein! Wochenlang hat Marie sich das wieder und wieder gesagt, dass es nicht sein darf, nicht sein kann . Aber irgendwann, als sie aus dem Nebel aus Tranquilizern und Wein, durch den sie Tag für
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