Alles muss versteckt sein (German Edition)
von seinem Sessel auf und macht zwei Schritte auf Dr. Falkenhagen zu. »Ich sagen Ihnen jetzt mal was! Was ich bisher verstanden habe, ist, dass aggressive Zwangsgedanken nicht umgesetzt werden. Dass sie zu keiner Tat führen. Richtig?«
»Richtig«, bestätigt Jan Falkenhagen.
»Dann sollten Sie, statt hier nach hanebüchenen Motiven zu suchen, besser herausfinden, wie das passieren konnte. Was mit meiner Frau«, er lässt das »Ex« weg, »geschehen ist, was sie hierhergebracht hat!«
»Herr Neumann«, erwidert der Arzt, immer noch freundlich und gelassen, »genau das versuche ich.«
»Davon merke ich nichts! Sie stochern nur im Nebel herum!«
»Würden Sie sich bitte wieder hinsetzen?«, fordert Dr. Falkenhagen ihn auf. »Wir kommen sonst hier nicht weiter.« Christopher sieht so aus, als würde er noch etwas sagen wollen – aber dann schweigt er doch und nimmt schließlich wieder Platz.
»Es gab also keinen Streit zwischen Ihnen, weil Patrick es seinen Geschwistern erzählt hat?«, fragt Jan Falkenhagen.
»Nein, den gab es nicht. Patrick hat mir erklärt, weshalb er Vera und Felix eingeweiht hat, und ich habe es verstanden. Damit war die Sache für mich erledigt. Nur für Felix – für Felix war sie nicht erledigt.«
Felix war geradezu fasziniert von meiner Krankheit. Wann immer ich ihn in den nächsten Tagen sah – und das geschah häufiger, seltsamerweise hatte er ständig einen Grund, unangemeldet bei Patrick aufzutauchen; mal wollte er dringend ein Buch ausleihen, dann wieder brauchte er irgendwelche Unterlagen für den Steuerberater, die Patrick bei sich zu Hause hatte, als Nächstes wollte er das geliehene Buch zurückbringen –, versuchte er, mich über meine Zwangsgedanken auszufragen. Ich beantwortete ihm ein paar seiner Fragen, denn ich wollte nicht unhöflich sein. Allerdings hielt ich mich dabei immer ziemlich knapp, sagte nur das Nötigste und erklärte ihm, dass er alles darüber im Internet nachlesen könne, wenn es ihn wirklich interessieren würde.
»Jetzt lass Marie doch mal in Ruhe!«, fuhr Patrick seinen Bruder eines Tages an, als er mal wieder unter irgendeinem Vorwand – ich glaube, diesmal ging es um eine Unterschriftenaktion für die Wahrung des Urheberrechts, für die Felix sich engagierte und Stimmen sammelte – unangemeldet vor der Tür stand und sich dann noch auf ein Glas Wein zu uns an den Gartentisch gesetzt hatte. »Deine ständige Fragerei geht ihr auf die Nerven, merkst du das nicht?«
»Verzeihung!« Felix hob in abwehrender Haltung beide Hände. »Ich kenne halt sonst niemanden, der so etwas hat.«
»Warum willst du das denn überhaupt alles so genau wissen?«, fragte ich.
»Weil ich es unglaublich interessant finde.« Er sah mich voller Bewunderung an, nahezu euphorisch, als hätte ich irgendetwas, auf das ich mächtig stolz sein konnte. »Ich meine, was in deinem Hirn so abgeht – das ist doch total spannend.«
»Danke«, gab ich zurück, »ich könnte gut darauf verzichten. Aber es freut mich, wenn es dich unterhält!«
»Nein, wirklich!«, ereiferte Felix sich. »Das ist ja wie ein Krimi im Kopf, so was kann man sich gar nicht ausdenken!« Sein Blick bekam etwas Geistesabwesendes. »Das Leben schreibt doch wirklich die besten Geschichten.«
»Oder die gruseligsten«, ergänzte ich.
»Dann ist es eben eine Horrorgeschichte«, erwiderte Felix mit einem breiten Grinsen.
»Wie dem auch sei«, ging Patrick dazwischen, »du hast jetzt deine Unterschrift, dein Glas ist auch fast leer, also kannst du eigentlich abzischen.«
»He! Schmeißt du mich etwa raus?«, wollte Felix wissen.
»Du hast es erkannt.« Patrick stand von seinem Stuhl auf. »Marie und ich wollen auch mal allein sein und nicht ständig mit meinem kleinen Bruder abhängen.«
»Okay, okay, ich geh ja schon.« Felix erhob sich ebenfalls, stürzte im Stehen schnell die letzte Pfütze Wein herunter und knallte das Glas dann auf den Tisch. »Dann macht euch mal einen schönen Abend, ihr zwei Turteltäubchen.«
»Danke«, sagte Patrick knapp.
»Bis bald, Marie«, verabschiedete Felix sich von mir. »Und nimm’s mir nicht übel, wenn ich dich ausgefragt habe. Ich finde die Sache einfach wirklich nur extrem spannend.«
»Schon in Ordnung.« Ich war erleichtert, dass Felix sich endlich verzog. Es war eigenartig mit ihm – einerseits mochte ich ihn irgendwie, andererseits fühlte ich mich von ihm auch abgestoßen. Und ich wusste in beiden Fällen nicht, warum.
»Warum, denken Sie, hat Felix
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