Alles muss versteckt sein (German Edition)
ist hinter sie getreten und legt beschützend beide Hände auf ihre Schultern. »Es ist gut, Marie, du musst nicht darüber reden.«
»Ich will aber darüber reden!«, faucht sie ihn an und schüttelt seine Hände ab. »Ich wünsche mir nichts mehr, als darüber reden zu können ! Aber das kann ich nicht, weil mein Kopf komplett leer ist! Nichts ist schlimmer als diese Ungewissheit!« Christopher seufzt und geht zurück zu seinem Platz.
»Das verstehe ich gut, Marie«, sagt Jan Falkenhagen. Zum ersten Mal nennt er sie beim Vornamen.
»Ich möchte mich so gern erinnern! Selbst wenn das bedeutet, dass ich wirklich ein Monster bin. Wenigstens wäre dann da nicht dieses schwarze Loch, dieser nagende Zweifel mehr!«
»Zweifel?«, fragt der Arzt.
»Ja«, antwortet sie. Denn das ist es, was sie fast umbringt: der Zweifel. Der Zweifel daran, dass sie es getan hat. Dass sie allein die Schuld an Patricks Tod trägt. »Solange ich mich nicht erinnern kann, werde ich nie ganz sicher sein, dass ich es wirklich war.«
»Sie wissen, dass die Beweise eindeutig sind«, erinnert Jan Falkenhagen. »Die Tatwaffe in Ihrer Hand, die Fingerabdrücke. Sie haben gegenüber der Polizei die Tat sofort gestanden. Alle Zeugen des Abends haben ausgesagt, dass Sie mit Patrick Gerlach in ein Taxi gestiegen sind. Allein.«
»Das weiß ich«, gibt Marie trotzig zurück. »Aber vielleicht … «
»Vielleicht was?«
»Vielleicht ist ja alles anders gewesen?«
»Wie soll es denn anderes gewesen sein?«
Sie seufzt. »Das weiß ich auch nicht.« Wieder und wieder hat sie die Situation, an die sie sich nicht erinnern kann, durchgespielt. Hat sich den Kopf darüber zermartert, wie das sein konnte. Wie sie einen Menschen, den sie so sehr liebte, hatte umbringen können. Und kam zu keiner Lösung, zu keiner Erklärung. Aber auch zu keiner anderen Möglichkeit als der, die mehr als auf der Hand lag.
»Frau Neumann.« Der Arzt klappt mit einem Mal entschlossen sein Notizbuch zu, beugt sich vor und sieht Marie ernst und eindringlich an. »Was ich Ihnen jetzt sage, widerspricht genau genommen sämtlichen therapeutischen Grundsätzen.« Er macht eine Pause.
»Nämlich?«, fragt sie.
»Es ist nur eine Überlegung, eine Möglichkeit, und ich möchte Sie beide bitten, mit niemandem darüber zu sprechen, denn momentan ist das alles mehr als unklar.«
»Was meinen Sie?« Marie ist verwirrt, warum drückt Jan Falkenhagen sich so geheimnisvoll aus?
»Die Sache ist die«, sagt er und räuspert sich. »Nachdem wir nun schon so viele Gespräche geführt haben … «
»Ja?«
»Also, bisher konnte ich nicht den Eindruck gewinnen, dass die Tat in Ihr Persönlichkeitsprofil passt.«
»Nicht in mein Persönlichkeitsprofil passt?«, wiederholt Marie.
Der Arzt schüttelt den Kopf. »Bis auf Ihre Zwänge erkenne ich bei Ihnen keinerlei Auffälligkeiten. Weder eine Persönlichkeitsstörung noch sonst eine psychische Erkrankung, mit der sich erklären ließe, wie es zu der Tat kommen konnte.«
»Was heißt das?« Marie versteht nicht, worauf Jan Falkenhagen hinauswill.
»Das heißt«, setzt der Arzt zögernd an, »dass es nach meinen bisherigen Erkenntnissen möglich ist, dass sie Patrick Gerlach doch nicht ermordet haben.«
»Mein Gott!«, entfährt es Christopher.
Nicht ermordet?
13
N icht ermordet.
Die Worte hallen in Maries Kopf nach, selbst als sie Stunden später im Bett liegt und einschlafen will. Jan Falkenhagen hatte gesagt, dass man sehr vorsichtig sein müsse mit so einer Vermutung und er ihr keine falschen Hoffnungen machen wolle, dass er aber tatsächlich nachhaltig irritiert sei. Sie müssten die Therapie einfach fortsetzen, vielleicht käme die Erinnerung an die Tatnacht dann doch noch zurück.
Hoffnung. Es ist Marie egal, ob sie falsch ist oder nicht. Der erste Funke Hoffnung seit langer Zeit. Das ist mehr, als sie bisher hatte, viel mehr.
Christopher hat ihr versprochen, sie gleich morgen wieder in der Klinik zu besuchen, er wolle bis dahin ein bisschen recherchieren. Er war von der Idee nicht abzubringen, hat immer wieder gesagt, dass ihm die Sache nicht gefällt und er glaubt, dass etwas anderes dahintersteckt.
Etwas anderes. Jemand anderes. Felix. Auch daran hat Christopher keinen Zweifel gelassen, daran, gegen wen sein Verdacht sich richtet. »Irgendwas ist da faul«, sagte er zum Abschied. »Und ich schwöre dir, dass ich herausfinde, was!«
Jetzt liegt sie also in ihrem Bett und denkt nach. Denkt nach über Felix und darüber,
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