Alles muss versteckt sein (German Edition)
Falkenhagens Büro, nach Christophers Besuch wollte er noch einmal mit ihr sprechen. Jetzt erzählt sie, worüber sie mit ihrem Exmann gesprochen hat, die Gründe ihrer Trennung. Sie sagt dem Arzt, dass es dabei auch um Christophers Sicht der Dinge ging, um seine Empfindungen, von denen sie bisher nichts gewusst hatte.
»Ich weiß nicht, ob ich ihm verzeihen kann«, gibt Marie zu. »Aber ich denke, es war gut, dass wir wenigstens mal darüber gesprochen haben.«
»Das glaube ich auch. Es wird nicht besser, indem man etwas totschweigt, im Gegenteil. Viele seelische Störungen entstehen dadurch, dass man sie nicht richtig verarbeitet hat.«
»Wie in meinem Fall?«
»Wahrscheinlich«, bestätigt der Arzt. »Sie haben weder den Verlust Ihrer Tochter noch die Trennung von Ihrem Mann wirklich angenommen und betrauert. Und irgendwann hat Ihre Seele so laut geschrien, dass Sie nicht mehr weghören konnten. Der Zwang wurde zu Ihrer Seelenpolizei.« Jan Falkenhagen senkt den Blick und studiert aufmerksam seine Notizen. Dann sieht er Marie wieder an. »Nicht aus Neugierde, sondern aus therapeutischen Gründen: Hat Ihr Mann noch etwas zu dem Thema gesagt, dass er sich umhören wollte?«
»Aus therapeutischen Gründen?«, fragt Marie verwundert.
»Na ja«, sagt Jan Falkenhagen. »Wenn es da etwas Neues gibt, das Sie verwirren könnte, sollte ich es wissen.«
»Ja, Christopher hat sich umgehört«, antwortet Marie. »Aber er hat nur erfahren, dass Patricks Bruder das Geld wohl mit beiden Händen ausgibt. Und das ist ja nicht verboten.«
»Nein, das ist es nicht. Und sonst?«
»Sonst nichts.« Sie überlegt, ob sie noch mehr erzählen soll. Warum nicht? Dr. Falkenhagen ist ihr Therapeut, wenn sie es ihm nicht sagt, wem dann? »Ich glaube, Christopher verrennt sich da in was, und vielleicht habe ich ihn ja sogar ermutigt. Er ist von meiner Unschuld überzeugt und will unbedingt Beweise dafür finden.« Sie sucht nach den richtigen Worten. »Ich habe fast den Eindruck, dass er glaubt, etwas an mir gutmachen zu müssen. Und dass er deshalb von der Idee nicht abzubringen ist. Dass er denkt, er sei mir das schuldig.«
»Ist er es Ihnen schuldig? Was sagt Ihr Gefühl dazu?« Sie zuckt mit den Schultern.
»Eigentlich nicht. Oder, ja, doch auch.«
»Also ist er schuldig, sagen Sie.«
»Nein«, sie schüttelt den Kopf. »Er ist nicht schuldig im allgemeinen Sinn. Aber er ist es vielleicht mir schuldig.«
»Ist das nicht dasselbe?«
»Bitte, hören Sie auf!«
»Womit soll ich aufhören?«
»Sie machen schon wieder dieses Katz-und-Maus-Spiel mit mir. Um mich zu provozieren!«
»Warum sollte ich das tun?«
»Weil Sie … « Marie spürt, wie sie die Beherrschung verliert. Eben war sie noch ganz ruhig, jetzt toben die widersprüchlichsten Gefühle in ihr. »Weil Sie irgendeine Reaktion von mir wollen?«, fragt sie. »Weil Sie möchten, dass ich die Fassung verliere, dass ich aus der Haut fahre?«
»Wenn Ihnen danach ist, tun Sie das doch einfach.«
Sie springt von ihrem Stuhl auf. »Sie haben recht! Manchmal möchte ich gern aus der Haut fahren! Und dann will ich schreien! Schreien darüber, was für eine Ungerechtigkeit das ist! Dass ich erst mein Kind verloren habe und dann noch meinen Mann! Dass er mich hintergangen hat, dass ihm nichts Besseres eingefallen ist, als mit einer anderen Frau zu schlafen, während ich vor Verzweiflung fast durchgedreht wäre!« Marie atmet schwer, ihr ist schwindelig »Dann diese schreckliche Krankheit! Warum? Warum ich? Was habe ich getan, dass ich jetzt hier sitzen und mit Ihnen reden muss? Dass ich eingesperrt bin in dieser Hölle, ohne überhaupt zu wissen, warum?«
Der Arzt sitzt ruhig auf seinem Stuhl, als würden sie gerade nett miteinander plaudern. »Sie wissen sehr wohl, weshalb Sie hier sind«, erinnert er sie.
»Nein!«, schreit sie. »Das weiß ich nicht!«
»Sie haben Patrick Gerlach ermordet.«
»Das sagen Sie! Dabei haben Sie noch gestern selbst behauptet, dass Sie es für möglich halten, dass ich es gar nicht war! Wollen Sie mich mit diesem Hin und Her verrückt machen, wollen Sie das ? Das gelingt Ihnen wunderbar.«
»Natürlich will ich Sie nicht verrückt machen. Ich habe da gestern eventuell meine Kompetenzen überschritten. Die Schuldfrage zu klären ist nicht meine Aufgabe.«
»Nicht Ihre Aufgabe? Und deshalb rudern Sie jetzt schnell wieder zurück? Damit man Ihnen ja nichts kann?«
Ihr Blick fällt auf den Schreibtisch des Arztes, sehr ordentlich und
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