Alles muss versteckt sein (German Edition)
dass sie selbst ja auch immer fand, dass sein Verhältnis zu Patrick eigenartig war, oft auf ungute Weise gespannt. Getrübt von Eifersucht und Missgunst, für jeden spürbar. Aber deshalb ein Mord? Und wenn ja: Wie? Am Abend der Tat war er kaum noch fähig gewesen, seinen eigenen Namen auszusprechen, wie hätte er da in der Nacht seinen Bruder umbringen sollen? Sicher war das möglich, theoretisch jedenfalls. Er hatte einen Schlüssel zu Patricks Wohnung, er hätte hineinschleichen und ihn töten können. Doch laut Felix’ Aussage, die von der Polizei bestätigt worden war, war er noch immer sturzbetrunken gewesen, als die Beamten ihn und seine Schwester gegen zehn Uhr am nächsten Morgen geweckt hatten. Und Vera hatte das bestätigt. Zwei Mal hätte sie in der Nacht noch aus Sorge nach ihm gesehen, einmal um zwei, einmal um sechs, beide Male hätte ihr Bruder in seinem Bett gelegen und geschlafen.
Felix also nicht. Wer sonst könnte es getan haben? Und selbst wenn es da jemanden gab, der einen Grund gehabt hätte, Patrick zu töten – wäre Marie davon nicht aufgewacht? Wenn jemand neben einem in Todesangst schrie – konnte man da seelenruhig weiterschlafen? Nein, das konnte man nicht.
Oder doch?
Gleich am nächsten Morgen spricht sie mit Dr. Falkenhagen darüber.
»Das ist eine wilde Vermutung«, sagt der Arzt. »Und ich kann Sie auch nicht ernsthaft in diesem Glauben bestärken, das wäre aus therapeutischer Sicht absolut unverantwortlich.«
»Aber können Sie es ganz ausschließen?«, will sie wissen. Er zögert. Zögert eine Sekunde zu lang.
»Was kann man schon ausschließen?«
»Und wenn es so wäre?«
»Dann müsste es dafür Beweise geben. So stichhaltige Beweise, wie man sie gegen Sie hat.«
»Christopher will sich umhören«, sagt sie.
»Frau Neumann, Sie bringen mich in Teufels Küche.« Dr. Falkenhagen schlägt sich mit beiden Händen resigniert auf die Knie. »Aber natürlich habe ich keinen Einfluss darauf, was Ihr Exmann tut. Das geht mich nichts an.«
Das geht mich nichts ans. In Maries Ohren klingt das wie eine Aufforderung.
»Ich hab was rausgefunden«, erzählt Christopher, als er später am Tag wieder zu Besuch kommt. Sie sitzen im Aufenthaltsraum. Die Wände des Zimmers sind Gelb von Nikotin. Zwar herrscht hier mittlerweile Rauchverbot, aber die vergilbten Tapeten bezeugen, dass das nicht immer so war.
»Und?«
»Es ist schon seltsam«, sagt er. Wieder guckt seine Zungenspitze ein Stückchen vor. »Offenbar gibt Felix sein Erbe mit beiden Händen aus. Hat sich einen Sportwagen zugelegt, einen richtig dicken. Das haben mir die Nachbarn erzählt.«
»Das ist geschmacklos, aber nicht verboten.«
»Mag sein«, sagt Christopher. »Ich hab auch mit Vera gesprochen.«
»Mit Vera?«
»Ja.« Er nickt. »Kein Sorge, sie weiß ja nicht, wer ich bin. Ich hab bei ihr geklingelt und behauptet, ich sei ein alter Freund von Felix und wollte wissen, wo er ist. Sie hat gesagt, er sei nicht zu Hause.«
»Und dann?«
»Dann«, er lächelt verschmitzt, »hab ich wirklich alles gegeben. Hab ihr gesagt, dass es mir furchtbar unangenehm ist, aber dass ich in großen finanziellen Nöten sei und Felix hätte ja schließlich gerade eine Menge geerbt … «
»Das hat du nicht gemacht!« Marie ist fassungslos.
»Doch. Hab ich.«
»Wie hat sie reagiert?«
»Sie hat mich angeschrien, dass das wohl das Allerletzte sei, und mir die Tür vor der Nase zugeknallt.«
»Verständlich.«
»Ja, sicher.« Christopher sieht aus, als würde ihm das alles hier großen Spaß machen. »Bevor sie die Tür zugeschmissen hat, hat sie aber noch gesagt, dass ihr Bruder und sie noch keinen Cent gesehen hätten und dass sie, wenn das Erbe kommt, sicher nichts irgendwelchen dahergelaufenen Freunden geben würden, von denen zumindest sie noch nie etwas gehört hätte.«
»Auch das kann ich verstehen.«
»Natürlich. Bleibt nur die Frage: Woher stammt das Geld für den Sportwagen?«
»Vielleicht hat die Bank Felix einen Kredit gegeben?«, antwortet Marie. »Die werden ja auch wissen, dass er was erbt.«
»Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass da etwas nicht stimmt. Ganz gewaltig nicht stimmt!«
»Ich weiß nicht.« Marie ist skeptisch. »Solltest du es nicht lieber gut sein lassen?«
»Gut sein lassen?« Christopher sieht sie verständnislos an. »Wüsste nicht, was daran gut sein sollte! Du sitzt hier, eingesperrt für eine Tat, die du vielleicht nicht begangen hast
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