Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
»erwischen« und herausfinden könnte, dass wir auch nur Menschen waren, zumal uns ja dauernd dieser Journalist mit seiner Kamera beobachtete.
»Das ist nicht erlaubt«, sagte ich.
»Ich weiß, aber –«
»Wie ernst ist es dir eigentlich mit diesem Projekt? Kaufst du öfter Zeitungen, wenn ich nicht da bin?«
Einerseits war ich wütend und verletzt, andererseits kam ich mir vollkommen absurd vor, weil ich die Welt retten wollte, indem ich keine Zeitungen kaufte und meine Frau dazu zwang, ebenfalls darauf zu verzichten.
»Eine Zeitung mehr oder weniger macht doch keinen Unterschied«, sagte Michelle.
»Aber wenn wir das Experiment nicht konsequent durchziehen, wie sollen wir dann wissen, wie es ist? Was soll ich denn tun? Eine Geschichte darüber erzählen, wie es ist, ohne Zeitung zu leben, obwohl wir in Wirklichkeit eine haben?«
»Soll ich sie zurückbringen?«
»Ja.«
Und das tat sie dann auch. Aber es war kein gutes Gefühl. Es ist kein gutes Gefühl, seiner Frau etwas wegzunehmen. Aber es ist auch kein gutes Gefühl, ein Projekt zu beginnen, bei dem bestimmte Regeln gelten, und dann gegen diese Regeln zu verstoßen. Vielleicht hätte ich erkennen müssen, dass es Teil des Projekts war, zu sehen, was passierte, wenn wir gegen die Regeln verstießen, und was hinter der Strenge steckte, mit der ich ihre Einhaltung durchzusetzen versuchte.
Aber an dem Abend befürchtete ich wohl, dass eine Art Dammbruch drohte. Mit einer Zeitung fing es an, und demnächst würden wir überall mit dem Taxi hinfahren. Was sollte ich im Blog schreiben? Was würden sie in dem Feature daraus machen? Allmählich erkannte ich, dass es mir nicht nur darum ging, mich umweltschonend zu verhalten, sondern dass es mir zunehmend Angst machte, in einer Glaskugel zu leben.
Was mir im Verlauf dieses Jahres immer wieder vor Augen geführt wurde, war mein eigener Hang zum Perfektionismus. Wenn ich dieses Projekt schon machte, dann gefälligst richtig. Es war genau wie die Sache mit dem Blog-Rating bei Technorati. Da ließ ich mich des Langen und Breiten über den Materialismus unserer Kultur aus, der dem Wohlergehen unseres Planeten und dem Glück der Menschen im Weg stand, und gleichzeitig sorgte ich mit meinem Antimaterialismus dafür, dass Michelle und ich unglücklich miteinander wurden.
Im tiefsten Innern ist uns allen klar, dass die Art, wie wirleben, unserem Planeten schadet. Okay, aber wenn es nicht darum geht, in diesem riesigen Hamsterrad mitzulaufen, worum geht es dann? Wenn das Ziel nicht darin besteht, immer mehr Dinge und immer mehr Technologie zu besitzen, worin besteht es dann? Wenn wir nicht der Wirtschaft dienen sollen, wem – oder was – sollen wir dann dienen? Dann doch lieber im Hamsterrad mitlaufen, als gar nicht dabei zu sein.
Wir glauben, dass es immer noch besser ist, in die falsche Richtung zu gehen, als nicht zu wissen, welche die richtige für uns ist. Ich dachte, es sei besser, im Dienste meines hehren Ziels Michelle anzupflaumen, als einfach so zu reagieren, wie es in dem Augenblick angemessen gewesen wäre, nämlich mit Nachsicht gegenüber meiner armen, großherzigen, engagierten Frau, die einfach mal eine kleine Auszeit brauchte.
Weniger Ressourcen zu verbrauchen, wird nicht die Leerräume in unserem Leben füllen. Es wird auch nicht verhindern, dass die Menschen, die wir lieben, sterben. Aber es wäre immerhin denkbar, dass eine Welt, in der wir bereits so viel Verlust erleiden müssen, ein klein wenig besser würde, wenn Männer netter zu ihren Frauen wären. Versuchen wir also, die Welt zu retten, indem wir angemessen auf den jeweiligen Augenblick reagieren.
Einmal sah ich ein Video, in dem Pema Chödrön, eine buddhistische Nonne, über die Reaktion der New Yorker Einwohner auf den Anschlag vom 11. September 2001 sprach. Nach ihren Worten ist das Leben der Menschen gekennzeichnet von »Grundlosigkeit«. Damit meint sie die grundlegende Unwissenheit, die uns Menschen eigen ist. Die fehlende Antwort auf Fragen wie: Was geschieht mit uns, wenn wir sterben? Und wenn wir nicht wissen, was später kommt, wie sollen wir dann entscheiden, was jetzt zu tun ist? Wir kennen den Sinn unseres Lebens nicht. Wir wissen nicht, warum wir erschaffen wurden, wer uns erschaffen hat und wie alles zusammenhängt.
Natürlich gibt es jede Menge Geschichten, die wir uns erzählen, um uns das, was wir nicht verstehen, begreiflich zu machen. Wir erzählen uns religiöse Geschichten und Familiengeschichten und
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