Alles Sense
vermutlich was mit der Verdauung zu tun«, fuhr er fort. »Komisch: Jahrzehntelang tickt, gurgelt oder was weiß ich das Ding munter vor sich hin, und man hat überhaupt keine Ahnung, welche Art von Arbeit es leistet. Es ist wie mit dem Bauch, wenn man abends im Bett liegt: Man hört ein Glick-gluck-glack darin – ohne daran zu denken, daß diese plätschernden Geräusche akustische Begleiterscheinungen außerordentlich komplexer chemischer Vorgänge sind…«
Dem Quästor gelang es schließlich, drei Worte hervorzubringen: »Du bist untot ?«
»Ich habe nicht darum gebeten «, erwiderte der aus dem Leben geschiedene Windle Poons verärgert. Er sah aufs Essen hinab und fragte sich, wie der Magen mit so etwas fertig werden und in einen Teil von Windle Poons verwandeln sollte. »Ich bin nur deshalb zurückgekehrt, weil ich nicht wußte, wohin ich mich sonst wenden sollte. Oder glaubt ihr etwa, ich möchte hier sein?«
»Aber…«, begann der Erzkanzler. »Hast du nicht… Ich meine, bist du niemandem begegnet, zum Beispiel einem düster wirkenden Burschen mit Sense?«
»Nein«, sagte Windle schlicht. Sein Interesse galt nach wie vor den Tellern. »Eine anstrengende Sache, das Nicht-Sterben.«
Die Zauberer winkten sich über seinen Kopf hinweg zu. Einige der Gesten wirkten recht verzweifelt.
Windle Poons sah ruckartig auf.
»Ich kann all das Winken ganz deutlich sehen«, sagte er. Und verblüfft stellte er fest, daß es stimmte. Während der vergangenen sechzig Jahre hatte dunstige Gräue die Konturen der Umgebung verschleiert, doch jetzt löste sich dieser Nebel jäh auf, und die Augen verwandelten sich in zwei optische Präzisionsinstrumente.
Zwei Überlegungen bestimmten das Denken der anwesenden Zauberer.
Die meisten Magier der Unsichtbaren Universität dachten: Wie schrecklich! Der arme Windle Poons steckt in dem Körper, in der Leiche. Er war ein netter alter Knabe… Wie können wir ihn loswerden? Himmel, es muß eine Möglichkeit geben, ihn ins Jenseits zurückzuschicken.
Und im summenden, blitzenden Cockpit seines Gehirns dachte Windle Poons: Es stimmt tatsächlich: Es gibt ein Leben nach dem Tod. Und es ist das gleiche. So ein Pech!
»Nun, was habt ihr jetzt vor?« fragte er.
Fünf Minuten später. Sechs der ältesten Zauberer eilten durch den zugigen Flur und folgten dem Erzkanzler, dessen Mantel wie ein Banner wehte.
Das Gespräch unter ihnen lief ungefähr so ab:
»Es kann nur der alte Windle sein! Ich habe seine Stimme erkannt.«
»Nein, ausgeschlossen. Der alte Windle war viel älter!«
»Älter? Älter als tot ?«
»Er will sein früheres Zimmer zurück, und ich sehe nicht ein, warum ich es ihm überlassen muß…«
»Habt ihr seine Augen gesehen? Sie hatten es echt in sich.«
»Wie? Was? Sie hatten es in sich? So wie der Mich-haut’s-um-Likör im Feinkostladen des Zwergs? Ich meine das Geschäft in der Ankertaugasse…«
»Und ich meine: Sein Blick hatte etwas Durchbohrendes.« 3
»Vom Fenster aus sieht man weit über den Garten, und ich habe schon alle meine Sachen verstaut, und es ist einfach nicht fair…«
»Gibt es Präzedenzfälle?«
»Nun, zum Beispiel der alte Teatar…«
»Ja, aber er starb nicht wirklich. Er schmierte sich nur grüne Farbe ins Gesicht, schob den Sargdeckel beiseite und rief: ›Überraschung, Überraschung!‹«
»Wir haben es hier noch nie zuvor mit einem Zombie zu tun gehabt.«
»Ist er jetzt ein Zombie?«
»Ich glaube schon…«
»Soll das heißen, er fängt bald an, mit Kesselpauken Lärm zu machen und die ganze Nacht herumzutanzen?«
»Entspricht das dem typischen Gebaren von Zombies?«
»Nun, vielleicht verhalten sich Zombies so, aber ich bezweifle, daß der alte Windle Gefallen an so etwas findet. Zu Lebzeiten hat er nie gern getanzt…«
»Wie dem auch sei: Den Voodoo-Göttern kann man nicht trauen. Man traue nie einem Gott, der die ganze Zeit über grinst und einen Zylinder trägt – so lautet mein Motto.«
»Nein, ich bin nicht bereit, mein Zimmer einem Zombie zu überlassen, nachdem ich Jahre darauf gewartet habe…«
»Tatsächlich? Ein seltsames Motto.«
Windle Poons schlenderte einmal mehr durch den inneren Kosmos seines Kopfes.
Eigentlich eine sonderbare Sache: Im Tod – beziehungsweise im Nicht-Leben – fiel ihm das Denken wesentlich leichter.
Inzwischen bereitete es ihm auch weniger Probleme, den Körper zu kontrollieren. Er brauchte kaum einen Gedanken ans Atmen zu verschwenden, und die Milz schien von ganz
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