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Alles Sense

Alles Sense

Titel: Alles Sense Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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den besten genetischen Code in der Nähe zu finden, und anschließend wächst er zu etwas heran, das besonders gut an Boden und Klima angepaßt ist – so gut, daß dieses Etwas die einheimischen Arten schon nach kurzer Zeit verdrängt.
    Aber eigentlich sind die Zählenden Kiefern deshalb so bemerkenswert, weil sie… zählen.
    Auf eine eher vage Weise waren sie sich bewußt, daß die Menschen die Ringe eines Baums zählten, um das Alter festzustellen, und daraus zogen sie den Schluß: Aus diesem Grund werden Bäume gefällt.
    Die Zählenden Kiefern nahmen diese Erkenntnis zum Anlaß, sofort den eigenen genetischen Code zu verändern, um in Augenhöhe und gut lesbar ihr exaktes Alter anzugeben. Innerhalb eines Jahres waren sie daraufhin fast ganz ausgestorben, was sie einer Hochkonjunktur in der Industrie für schmuckvolle Hausnummern-Schilder verdankten. Nur in äußerst abgelegenen Regionen gab es einige wenige Überlebende.
    Die sechs Zählenden Kiefern lauschten der ältesten Kiefer weit und breit: Der knorrige Stamm verkündete ein Alter von einunddreißigtausendsiebenhundertvierunddreißig Jahren. Das Gespräch dauerte siebzehn Jahre und wird hier im Zeitraffer wiedergegeben.
    »Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als es hier nicht nur Felder gab.«
    Die Kiefern blickten über die mehr als anderthalbtausend Kilometer freies Land vor ihnen hinweg. Das Firmament flackerte wie der schlechte Spezialeffekt eines Zeitreisefilms. Schnee erschien, verweilte kurz und schien sich einfach in Luft aufzulösen.
    »Und was gab es statt dessen?« fragte die nächste Kiefer.
    »Eis. Wenn diese Bezeichnung angemessen ist. Damals hatten wir richtige Gletscher. Nicht so ein Eis wie heute: plötzlich da und schon wieder weg. Es blieb eine Ewigkeit lang.«
    »Was ist damit passiert?«
    »Es verschwand.«
    »Wohin?«
    »Was weiß ich? Wohin die Dinge eben verschwinden. Alles hat’s so eilig…«
    »Potzblitz! Der hatte es in sich.«
    »Was meinst du?«
    »Den letzten Winter. War ziemlich streng.«
    »So etwas hältst du für einen strengen Winter? Als ich ein junger Baum war – da hatten wir richtige Winter. Aber heute…«
    Die Kiefer verschwand.
    Nach einer schockierten Pause, die mehrere Jahre dauerte, sagte ein anderer Baum der Gruppe: »An einem Tag war er noch da, und am nächsten nicht mehr! Wie ist so etwas möglich?«
    Wenn die übrigen Bäume Menschen gewesen wären, hätten sie jetzt mit den Füßen gescharrt.
    »So was kommt vor, Junge«, erwiderte einer von ihnen behutsam. »Bestimmt ist er jetzt an einem besseren Ort 1 . Da kannst du sicher sein. Immerhin war er ein guter Baum.«
    Der jüngere Baum – er hatte erst fünftausendeinhundertelf Jahre hinter sich – fragte: »Was für ein ›besserer Ort‹?«
    »Wir wissen es nicht genau«, entgegnete eine andere Kiefer. Sie zitterte unsicher in einem sieben Tage langen Sturm. »Aber wir glauben, es geht dabei um… Sägemehl.«
    Die Bäume konnten keine Ereignisse wahrnehmen, die weniger als vierundzwanzig Stunden dauerten, und deshalb hörten sie nie das Hämmern von Äxten.
     
    Windle Poons, ältester Zauberer aller Fakultäten der Unsichtbaren Universität…
    … Heimat von Magie, Zauberei und üppigem Essen…
    … erwartete den Tod.
    Auf eine gewisse, von Unbehagen geprägte Weise wußte er, daß er bald sterben würde.
    Er dachte darüber nach, während er seinen Rollstuhl über die Steinplatten steuerte und Kurs auf das im Erdgeschoß gelegene Arbeitszimmer nahm. Im Allgemeinen wußten selbst die gewöhnlichen Leute, daß sie einmal sterben mußten. Vor der Geburt regierte herrliche Unwissenheit, doch wenn man erst einmal zur Welt gekommen war, stellte man schon bald fest, daß einem jemand die Rückfahrkarte mitgegeben hatte.
    Zauberer hingegen wußten im Besonderen Bescheid, wobei es allerdings Ausnahmen zu berücksichtigen galt. Wenn es um gewaltsamen Tod ging, zum Beispiel um Mord, so versagte der besondere thaumaturgische Spürsinn. Aber wenn der Tod schlicht erfolgte, weil das Leben endete… dann ahnte ihn ein Magier rechtzeitig genug voraus, um alle Bücher in die Bibliothek zurückzubringen, den besten Anzug vorzubereiten und sich möglichst viel Geld von seinen Freunden zu leihen.
    Windle Poons war hundertdreißig. Ihm fiel ein, daß er den größten Teil seines Lebens als alter Mann verbracht hatte. Es erschien unfair.
    Und niemand scherte sich darum. In der vergangenen Woche hatte er im Ungemeinschaftsraum einige Andeutungen fallenlassen,

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