Alles total groovy hier
den nächtlichen Ansprüchen der Sozialpädagoginnen. Und mittendrin Pierfrancesco Scuzzi, mit Stirnband und Paillettenweste und der zufriedenen Miene des Suchenden, erdgebunden, der gefunden hat.
»Setz dich doch zu uns.«
Zu uns. Fein.
Die Atmosphäre war übernächtigt, verkatert, im Chillout-Modus. Sie wurde noch etwas chilliger, als ich mir tatsächlich einen Platz suchte.
Ein Stuhl war noch frei, am Kopfende, doch gerade der war, wie Alma sich beeilte klarzustellen, reserviert. Für >abwesende Freunde<, wie es hieß. Symbolisch, wie es hieß.
Scuzzi rutschte auf seiner Bank zur Seite, machte Platz für mich, also hockte ich mich neben ihn.
Kein Brot, keine Eier. Dafür eine Menge Früchte. Dazu gab's Tee, aller Erfahrung nach vollkommen ungeeignet, mir den Puls oder die Lider zu heben. Und Müsli. Schüsselweise Müsli. Das Wort allein schon. Assoziiert sich für mich in einem Rutsch mit Ostermärschen, Waldorfschulen und der Musik von Herbert GrÖnemeyer. Müsli. Weckt in mir den spontanen Wunsch, meine Zähne in den nächsten Whopper zu schlagen. Angeödet sah ich auf und musste feststellen, dass ich ausgerechnet Leroy direkt gegenübersaß, einem MüsliMann durch und durch. Und einem orgiastischen Esser obendrein. Mit wachsendem Überdruss durfte ich miterleben, wie er schnaufte, schwitzte, schmatzte und jedem Löffelvoll eine abstrus lange Verweildauer in seiner Mundhöhle gönnte.
Wenn Leroy sprach, für gewöhnlich mit vollem Mund und unter viel schleimiger Fadenbildung zwischen seinen fetten Lippen, verstummte jedes andere Gespräch am Tisch. Vor allem die Frauen schenkten ihm viel affektierte Aufmerksamkeit. Die Vermutung lag nahe, dass er so was wie das lokale Drogenmonopol innehatte und das wiederum geschickt als Machtinstrument gebrauchte. Papa verteilt die Leckerchen mit dem gönnerhaften Gehabe des orientalischen Patriarchen.
Ich konnte mir nicht helfen, aber irgendwie wurde ich nicht recht warm mit dem feisten Widerling und seiner Entourage.
Am besten gefielen mir noch die Kids, die sich nicht viel sagen ließen und das Gros der Erwachsenen als einen Haufen Lahmärsche zu betrachten schienen. Sie schlangen ihr Frühstück runter und waren unterwegs, bloß weg, bis zur nächsten Mahlzeit.
Leroy begann sich eine weitere Schale Müsli vollzuschau feIn, und ich erinnerte mich dringender Erledigungen. Der Pegel der allgemeinen Unterhaltung stieg hörbar, kaum dass ich mich ein paar Schritte entfernt hatte. Es würde dauern, bis Leroy seinen Hintern hochbekam und den Headshop aufschloss, also stromerte ich herum, sah mich um, passierte das Wohnmobil, aus dem ich gestern die Schreie gehört hatte. Ein ziemlich neues Modell. Heidelberger Kennzeichen. Die Scheiben waren zugestaubt, die Reifen ein wenig drucklos, doch davon abgesehen, wirkte es absolut funktionstüchtig. Die Tür stand offen. Ich blickte hinein. Oder besser, ich blickte, nur mäßig interessiert, gegen den Fliegenvorhang und wollte schon weiter, als jemand die bunten Perlenschnüre beiseite wischte.
»Hallo, du«, sagte eine kratzige, weibliche Stimme. Ich trat näher, starrte, bis sich meine Augen an das schwache Licht im Inneren des Wagens gewöhnt hatten. Sie lächelte ein halb verzücktes, halb entrücktes Lächeln, umgeben von Piercings durch Lippen, Nasenflügel, Brauen, Ohren. Darübertürmte sich ein hennarotes Knäuel von Dreadlocks, gezwängt in einen blauen Wollstrumpf, der ihr Haupt um einen satten halben Meter überragte und damit unweigerlich Marge-Simpson-Assoziationen hervorrief. Ihre Haut war kalkbleich und semitransparent, wo sie nicht von Tattoos bedeckt wurde oder einem Badeanzug in Kindergröße, der an ihr hing wie ein Sack.
»Da bist du ja«, nuschelte sie geheimnisvoll. Sie war unübersehbar, unignorierbar gestört. Und ich meine nicht nur ihre Essgewohnheiten. »Endlich.«
»Ja, nun«, sagte ich. »Ich hab mich beeilt, aber es geht einfach nicht voran, mit all den Holländern auf den Straßen.«
»Ich wusste, du wirst kommen«, sagte sie und trat einen Schritt näher. Ihr Blick flackerte wie die letzte Kerzenflamme auf dem Geburtstagskuchen eines Tubaspielers.
»Ich habe es die ganze Zeit gefühlt.«
Eine Party-Pillen-Psychotikerin, wenn mir je eine begegnet ist.
»Denn wir teilen dasselbe Karma.«
Mit 'nem Extra-Schlag Esoterik. Als ob das nötig gewesen wäre.
»Ich erkenne dich«, behauptete sie.
»Bestimmt aus dem Fernsehen«, vermutete ich. »Aus meiner Sendung >Lachenmit Kristofc«
Keine
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