Alles über Elfen (German Edition)
läuft man eben auch nicht Gefahr, sich seine schöne Sprache zu »beschmutzen] Man könnte allerdings auch argumentieren, dass sich der Sprachwandel unter ihnen so langsam vollzieht, dass er für uns nur zu beobachten und nachzuvollziehen ist, wenn wir uns bei solchen Untersuchungen auf alte elfische Texte stützen können. Tolkien hatte anscheinend dieses Glück, denn er zeichnet für die von ihm untersuchten Elfensprachen sehr wohl klar erkennbare Veränderungsprozesse nach.
Eines können wir aber sicher festhalten: Die elfische Sprache ist sehr, sehr alt. Tolkien propagiert sogar etwas wirklich Atemberaubendes: Die Elfen treten bei ihm mehrfach als Lehrmeister auf, die anderen Völkern das Sprechen beibringen beziehungsweise direkten und sehr umfassenden Einfluss auf die Sprachen nehmen, die andere Völker bis zum Zeitpunkt ihres Erstkontakts mit dem Schönen Volk entwickelt haben. [Christiansen: Und da wären wir auch schon wieder beim Thema Arroganz. Als ob man extra die Elfen bräuchte, um Sprechen zu lernen] In einem Fall trägt diese Mentorenrolle sogar regelrecht magische Züge: Laut Tolkien waren es die Elfen, die die Ents das Sprechen lehrten. Ich verrate an dieser Stelle gewiss nichts Neues, wenn ich auf die große Ähnlichkeit der Ents mit Bäumen hinweise. [Plischke: Ähnlichkeit drückt es noch eher milde aus. Wenn Bäume sich zu Baumhirten so verhielten wie Schafe zu Schafhirten, hätten alle Schafhirten wolliges Fell und würden blöken statt sprechen] Ist es also nicht denkbar, dass die Elfen es den Ents überhaupt erst ermöglichten, sich von gewöhnlichen Bäumen in Baumhirten zu verwandeln? Und dass es das Geschenk der Sprache war, das diese Entwicklung angestoßen hat? Ist es nicht vielleicht das, was Baumbart meint, wenn er sagt, die Elfen hätten die Ents von ihrer Stummheit befreit?
Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang auf eine andere Fragestellung einzugehen: Warum braucht das Schöne Volk überhaupt eine gesprochene Sprache, wo seine Angehörigen doch angeblich die Fähigkeit zur Telepathie besitzen? Warum einen Umweg über Schallwellen und ein Trägermedium zur Überbrückung der physischen Distanz zwischen zwei Elfen mit Kommunikationsabsichten, wenn sie sich offenbar genauso gut per direkter Gedankenübertragung verständigen könnten?
Eine Antwort findet sich im bereits erwähnten, von Tolkien aufgezeichneten elfischen Schöpfungsmythos, dem Cuivienyarna. Nach ihrem Erwachen – also dem Augenblick, in dem die ersten Elfen ein Bewusstsein ihrer selbst entwickeln – stellen sie fest, wie schön ihre Frauen und die Sterne am Firmament sind. Die Ergriffenheit ob dieses Anblicks weckt in ihnen den Wunsch, den anderen diese Empfindung mitzuteilen. Das ist der Moment, in dem Sprache entsteht.
Sprache erfüllt hier also mehrere Funktionen:
Sie ist ein Werkzeug, um eine innere Empfindung nach außen zu transportieren.
Sie befreit diese innere Empfindung zudem aus den Grenzen ihrer eigenen Innerlichkeit. Das Gefühl ist nun nicht länger ein allein im Sprecher geborgenes Element, sondern eines, das er mit anderen teilt.
Somit fungiert Sprache auch als eine Art Rückversicherung, dass diese Empfindung tatsächlich Bestand hat, denn nun können mir andere bestätigen, dass beispielsweise unsere Frauen und die Sterne am Firmament tatsächlich so schön sind, wie es mir erscheint.
Sprache schafft also einen verbindlichen Bezugsrahmen, in dem ausgehandelt werden kann, ob die Dinge wirklich so sind, wie sie sind.
Und der vielleicht wichtigste Punkt: Durch Sprache werden Gedanken selbst Teil der physischen Welt der Dinge.
Letzteres kann gar nicht genug betont werden, denn es liegt viel Kraft in der Sprache. Jede Äußerung ist zugleich eine Entäußerung. Man gibt etwas von sich preis, das dazu in der Lage ist, direkten Einfluss auf die Welt um einen herum zu nehmen. Das mag nun trocken und theoretisch klingen, aber ich kann Ihnen ein sehr praktisches Beispiel dafür geben, wie eng Sprache mit Macht verknüpft ist: Magie, oder genauer gesagt Zaubersprüche. Auch wenn wir oben festgehalten haben, dass die Elfen nicht zu Zauber formeln neigen, ist es dennoch unverkennbar so, dass sie in den meisten Erzählungen ihre Magie eben nicht stumm wirken. Sie murmeln oder singen bestimmte Worte, denen sie eine besondere Wirkungsmacht zusprechen – und diese Worte zeigen ja auch deutlich Wirkung! Die Energie, die über magische Worte transportiert wird, stammt dabei nicht aus diesen Worten selbst –
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