Alles über Sally
Gedanken einen Niederschlag fanden. Doch worin genau diese Gedanken bestanden, ließ sich nicht sagen.
»Du schmeckst gut«, sagte sie.
»Und ich finde, es ist schön, dich anzugreifen.«
Er gab ihrem Hintern einen Klaps, sie spürte das sanfte Vibrieren ihres Fleisches, als hätte man einen Kiesel ins Wasser geworfen. In diesem Moment schob sich eine Wolke vor die tiefstehende Sonne, und Sally stellten sich die Härchen an den Armen auf. Sie rülpste leise und schüttelte sich. Keine zehn Sekunden später bog ein gewaltiger Rasenmäher auf die Liegewiese hinter ihnen, gesteuert von einem Mann in neongelber Jacke mit Reflektorstreifen, mit blauem Hörschutz und einer zornig blinkenden Signalleuchte hinter sich am Heck. Die Maschine polterte jaulend über den Rasen. Der Geruch des frisch geschnittenen Grases wurde herangetragen, ziemlich muffig, weil auch die braunen Klumpen des letzten Mähens aufgewirbelt wurden, untermischt mit einigen zerfetzten Nacktschnecken.
Sally zog eine Grimasse. Sie schob ihre Sonnenbrille zurecht, und zwischen anderen heimwärtsstrebenden Menschen ging sie neben Erik in der immer geiziger werdenden Beleuchtung hinunter zur Wagramer Straße. Als sie dort ankamen, wo sie ankommen mussten, bei einem Taxistand im tiefen Schatten von Bäumen, sagte Erik:
»Was uns trennt, ist nur, dass wir nicht den gleichen Heimweg haben.«
»Es ist nett formuliert, danke vielmals«, sagte sie.
Die Hochhäuser der UNO-City hatten ihren Glanz verloren, nochmals ein Kuss, bevor der Taxifahrer ungeduldigwurde. Letzte Berührungen unter dem sich weißlich färbenden Himmel, im leise hörbaren, alles überdauernden, trübsinnigen Orgeln der Frösche. Dann verschwand Erik so plötzlich, dass Sally sich richtiggehend bestohlen fühlte, wieder einmal war alles sehr seltsam.
Es gibt keine Einigkeit in der Frage, wozu man lebt und was gut ist. Man kann die Dinge so oder anders sehen, sogar Sally hat zwei Meinungen zu dem, was sie tut, eine idealistische und eine realistische. Zuerst die idealistische: Sie ist überzeugt, dass man im Leben nicht nur einen Menschen lieben kann. Die Liebe zu mehreren Menschen erscheint ihr als etwas völlig Normales. Den Gedanken, nur immer einen Menschen zu lieben, mit ihm für ewig zusammenzuleben, sowohl emotional als auch sexuell an ein bestimmtes Gegenüber gebunden zu sein, hält sie für unrealistisch und für eine Erfindung von alten Männern. Es gibt so viele alte Männer, die Angst um ihre Macht haben, man kann nicht aufmerksam genug sein für die Fäden, mit denen sie die Welt überziehen. Menschen, die eine totale Bindung für sich akzeptieren, nehmen den Druck dieses Altmännergarns auf, manchmal hat es bestimmt auch praktische Gründe, dass Menschen mit diesem »Ich muss, ich muss« leben. Aber sie leben unter einem Zwang, der nicht von innen kommt, sondern von außen, das ist Sallys Meinung, das war schon ihre Meinung, als sie eine junge Frau war. Wie gesagt, es ist die idealistische Version. Die realistische sieht so aus: Wenn sie ihren Mann nicht ausschließlich liebt und ihm untreu ist, verletzt sie ihn, und wenn sie gleich mehrere Männer liebt, kann sie es keinemrecht machen. Und auch ein Mann, der mehrere Frauen liebt, unter ihnen Sally, kann es keiner recht machen. Sally ist nicht weniger gierig als andere und drängt sich ebenso gerne vor. – Aber eigentlich ist das die oberflächlichere Meinung, denn der Wunsch, es recht gemacht zu bekommen, ist ein wenig verdächtig, man müsste sich von diesem Wunsch befreien, zumindest so weit, dass man sich weniger verletzt fühlt, wenn man zwischendurch gezwungen ist, in der zweiten Reihe zu stehen. Schließlich läuft auch die Unterdrückung des Wunsches nach Spontaneität und Glück auf eine Verletzung hinaus, halt auf Selbstverletzung.
Der Umweg zum Schließfach am Karlsplatz, wo sie am Vortag die Einkäufe deponiert hatte, bewirkte, dass Sally erst nach Hause kam, als es schon fast dunkel war. Ihr Magen bewegte sich ein wenig vor Erregung, als sie vor der Haustür stand. Sie verharrte einige Momente in vagen Gedanken, ehe sie den Schlüssel in das neue Schloss schob. Aus dem Wohnzimmer hörte sie eine sonore Fernsehstimme, Sallys dorthin gerufenes »Hallihallo!« erwiderte Gustav. Er lag wie ein nichtsnutziger König in seinem Thronsessel und schaute Nachrichten.
Sally platzierte die Einkäufe gut sichtbar mitten auf dem Küchentisch, dann drehte sie den tropfenden Wasserhahn über der Spüle zu. Ein
Weitere Kostenlose Bücher