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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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konnte, dass sie in jüngeren Jahren eine Weltmetropole des Geistes gewesen war.
    Wenn Sally den Kopf weit in den Nacken legte und durch die halb zugekniffenen Augen spähte, schaute die Welt geheimnisvoll und großartig aus. Aus dieser Perspektive sah sie Erik mit über dem Wasser hängenden Beinen, er saß am Rand des Badestegs und machte den Eindruck, als wären seine Augen Sally gefolgt, sein dunkler Anzug wirkte fremd in dieser Umgebung, er sah trotzig drein.
    Während Sally sich auf dem Rücken treiben ließ, leuchtetemit ungewöhnlicher Intensität ein Schwall klaren Bewusstseins durch ihr Gehirn. Wie angetrieben vom Rhythmus der leichten Beinbewegungen, dachte sie in kurzer Zeit an sehr viele Dinge, an all die Liebesgeschichten, aus denen sie herausgewachsen war, an all die vielen Männer, die am Ufer gesessen und ihr beim Schwimmen zugesehen hatten. Sally empfand es mit einem Mal als befremdend, im Wasser zu sein, während ein Mann aus der Entfernung zusah. Einerseits fühlte sie sich frei, aber auch abgesondert und einsam. Und die Männer waren ebenfalls für sich, sie saßen im Gras oder auf Steinen oder auf einer Mauer oder sie lagen und schliefen oder lasen ein Buch oder lehnten rauchend an ihrem Moped. Und Sally fühlte eine traurige Leere, weil sie auf sich alleine gestellt war und nichts von dem wusste, was die Männer am Ufer dachten, ob sie sich mit freundlichen oder bösen Absichten trugen.
    Vom Wasser aus war Sallys Blick auf Männer weniger vorbelastet von Ängsten und Sehnsüchten. Vom Wasser aus sah sie Männer weniger sentimental, und sie liefen Gefahr, ein wenig inferior zu wirken. Das lag bestimmt auch daran, dass Sally in ihrer Kindheit Männer fast ausschließlich als inferior erfahren hatte. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt, selbst über den nächstbesten Verkäufer im Supermarkt wusste sie mehr, das war besonders mies. Ihr Großvater war ein unmöglicher Mensch gewesen, der seine Gefühle nicht unter Kontrolle gehabt hatte, er hatte zu Spontaneinkäufen geneigt, und wenn er nett sein wollte, war er kitschig. Dann hatte es noch einen Onkel gegeben, einen Marktfahrer, der getrunken hatte, und einen Lehrer, der sehr nett gewesen war, aber ständig mit dem Finger inseinem Hintern gebohrt und anschließend daran gerochen hatte. Zusammengenommen ergaben sie ein eher unrühmliches Sortiment, von dem Sallys Männerbild geprägt war. Bedauerlicherweise gruppierten sich auch die Männer, die sie frei hatte wählen können, zu einer ziemlich törichten Auswahl.
    Als junges Mädchen war Sally fast täglich mit ihrer Jungfräulichkeit beschäftigt gewesen, diese Beschäftigung hatte sie als störend und unergiebig empfunden. Nach Abschluss der Schule beschloss sie, diesen lästigen und ständig bedrohten Zustand in etwas Stabileres überzuführen, zu diesem Zweck suchte sie sich auf der Uni im ersten Proseminar einen Kommilitonen, dessen Auftreten sie vermuten ließ, dass er ein Draufgänger war. Sie besuchte den Typ zu Hause, seine Mutter hatte ein Milchgeschäft im 5. Gemeindebezirk, und er erwies sich als das, was Sally erwartet hatte. Er kam ohne Umschweife zur Sache und rechtfertigte sich damit, dass es in Paris so üblich sei. Das waren gute Argumente, denn Paris befriedigte Sallys Wunsch nach Freiheit, und üblich befriedigte ihren Konservativismus der Unerfahrenen. Zwei Wörter, die wie eine geweihte Kapelle der Zeitgenossenschaft über ihre Entjungferung gestülpt waren, eine Vorstellung von schwarzen Rollkragenpullovern und neuentstehenden Traditionen, während sie splitternackt auf einer Matratze lag und einen schwitzenden jungen Mann die Arbeit verrichten ließ.
    Zwei Jahre später war ihr Sexualleben bereits zu pornographischer Blüte gelangt. Allein während ihres ersten Kairo-Aufenthalts gab es einen Tschechen, der am Nil ein Hausboot besaß, einen Koch des Mövenpick-Hotels, einendeutschen Botschaftsangehörigen, einen einheimischen Tiefbauingenieur und Alfred. Jemanden vergessen? Kann schon sein. Erst Jahre später ging Sally auf, dass sie damals in einer Phantasieblase gelebt hatte – bei jeder noch so großen Dummheit hatte sie sich von der Überzeugung leiten lassen, eine mit allen Vollmachten und Sonderbefugnissen versehene Abgesandte der Zukunft zu sein.
    Aber was veranlasste sie wirklich, mit all diesen Männern Sex zu haben? Von Labilität war bei ihr nie die Rede, außer einer gewissen Labilität des Bettes. Sie las Henry Miller, seine Bücher halfen ihr, in die

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