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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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habe ihm berichtet, dass ein UNO-Soldat, dessen Frau das Kleid gleich vor den Beduinen probiert habe, hundert Pfund hingeblättert habe, angeblich als Kostüm für den Fasching. Es müssen jetzt größere Mengen gehamstert werden, die drei Kleider bei Gindi, ohne finanzielle Deckung, sind gerechtfertigt, es wird sich alles finden, im Moment heißt es nur, schneller sein als die andern, denn solche Möglichkeiten kommen nicht wieder. Man darf das niemandem sagen, auch nicht dem besten Freund, es spricht sich alles herum, und die Lemuren sind einem alles neidig. Bis in zwei oder drei Jahren wird sich der Preis für ein gutes altes Sinai-Kleid vervielfacht haben. Ich selber besitze von den handgestickten, die zu relativen Spottpreisen zu haben waren, zwanzig, allesamt traumhaft schön mit dem nötigen Zubehör, Gesichtsschleier, Kopftücher. Ineinigen Jahren werden solche Prachtexemplare nicht mehr zu finden sein oder ein Vermögen kosten. Die Reserven sind geringer, als die Händler glauben, der Ausverkauf des Sinai läuft auf Hochtouren, der Anteil der älteren Frauen in der Bevölkerung mit Beduinentradition ist begrenzt. Im Moment kommen pro Monat hundert Kleider auf den Markt, drei Viertel davon in so schlechtem Zustand, dass sie zerschnitten oder gestückelt werden müssen, da lässt sich leicht absehen, dass die gegenwärtige Schwemme in Bälde versiegen wird. Wenn es so weit ist, steigen die Preise für Prachtstücke wie die, die ich besitze, kräftig an. Beispiel Truhen: früher zwischen zwanzig und vierzig Pfund, heute praktisch verschwunden. Ein schönes altes Stück wie das, das ich Sally zu Weihnachten geschenkt habe, ist nicht mehr unter zweihundertfünfzig zu bekommen. Bei den Sinai-Kleidern steht dieselbe Entwicklung bevor, und wenn es so weit ist, sind meine Anlaufschwierigkeiten vergessen, dann ergibt sich von selbst der nötige wirtschaftliche Grundstock, und ran an die Fleischtöpfe Ägyptens. Gleichzeitig bringt mich das Artikelschreiben akademisch voran, ich muss mich nur heil durch diese Phase winden, mit Sally, gemeinsam mit Sally, wenn sie das Vertrauen nicht verliert, gemeinsam mit ihr habe ich nichts zu befürchten. Leider sieht auch sie die Misere mit wachsender Besorgnis, mag sie auch noch so oft behaupten, von zu Hause gegen solche Dinge abgebrüht zu sein.
     
    Das Taxi befand sich in den brodelnden Straßen, der Wagen eilte und sauste, und wo Eilen und Sausen nicht möglich war, hupte der Fahrer. Zwischendurch drehte er sichum und forderte Sally zum Heiraten auf, sie solle fünf Töchter bekommen, die genauso aussehen wie sie. Das Kompliment war eigentlich ganz nett, Sally ging trotzdem nicht darauf ein, sie verspürte keinerlei Neigung, den möglichen Vater zu diskutieren, ob auch ein Taxifahrer in Frage kam. Die Straßenbahnen ratterten in den ausgefahrenen Schienen, verbeulte Touristenbusse verstopften die Kreuzungen, Ampelfarben wurden nach eigenem Gutdünken ausgedeutet, dann ging es weiter. Das Taxi näherte sich dem Gezira-Klub, daran vorbei, kurz darauf bog es auf die Brücke des 6. Oktober, auf der sich am Abend die Liebespaare trafen und wo für einige Piaster Jasmingirlanden verkauft wurden als Symbol für Fruchtbarkeit oder Glück oder was auch immer. Sehr betörend. Wenn Sally dem Fluss Beachtung geschenkt hätte, hätte sie flussaufwärts vor der Qasr al-Nil Brücke zwei Daus mit ihren hohen spitzgekrümmten Segeln gesehen. Stattdessen hockte sie versunken im Fond und sah ganz andere Dinge: ein kleines Zimmer im Souterrain eines Hauses in der Christchurch Street, eine metallene Wanne mit einem Kind darin, eine Mutter, die einen Schwamm über dem Kopf des Kindes ausdrückte. Dann dasselbe Mädchen, das sich am Mantel der Mutter festhielt, ja, Brücken gab es immer, und was überbrückt wurde, war beträchtlich, atemberaubend und so lang wie der Nil.
    Ist wirklich Sally das gewesen, die zu Ostern allein nach London flog? Im Kensington Park fand ein Kinderfest statt, beim Tretrollerrennen wurde sie zweite, weil sie bei einem Zwischenstopp, Einschlagen eines Nagels, wertvolle Zeit verlor. Kann das Sally gewesen sein? Ein kleines Mädchen in einem kurzen blauen Mantel, der Landessprache nichtmächtig, sehr flink und mutig, aber ungeduldig und daher schlecht in der Kunst des Nägeleinschlagens. Erst acht Jahre alt, Moment, erst sieben, nicht größer als ein Meter fünfundzwanzig.
    Und wenn es wirklich so war, dann litt sie darunter, dass sie trotz ihrer ersten Schulerfolge den

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