Alles über Sally
Gutdünken und nach der goldenen Amtsregel: Was nicht unbedingt sein muss, bleibt liegen. Ganz wohl war ihnen dabei nicht, das Unwesen, das sie trieben, war von der ständigen Angst begleitet, dass sie irgendwann aufflogen und mit Schimpf und Schande davongejagt wurden. Kurzum, sie waren heillos überfordert.
Klara, eine gelernte Kindergärtnerin, fragte den Attaché, was, bitteschön, mit einem Einlaufstück zu geschehen habe, bei dem nicht klar sei, wo es protokolliert werden müsse. Sie dürfe der Direktorin die Akten ja nur protokolliert vorlegen.
Damit war die Chefin ans Messer geliefert. Denn ihre Anweisungen folgten keinem Ordnungssinn, sondern reiner Bequemlichkeit. Normalerweise hätte die Direktorin die Einlaufstücke unprotokolliert bekommen und dann bestimmen müssen, was damit zu geschehen habe.
Attaché und Kanzler wechselten verschwörerische Blicke. Der Attaché sagte:
»Ganz klar, was für eine Empfehlung wir machen werden.«
Dabei lachte er höhnisch.
Um Gottes willen, dachte Sally, die Direktorin ist erledigt, und wir mit ihr! Also sagte sie zum Attaché:
»Ich bin durchaus an der Kanzleiordnung interessiert. Bitte erklären Sie mir alles, und wenn möglich mit geschichtlichem Hintergrund.«
»Sie werden sich wundern«, sagte der Attaché. »Die maria-theresianische Kanzleiordnung entspricht dem gesunden Menschenverstand. Wenn überall auf der Welt die maria-theresianische Kanzleiordnung zur Anwendung käme, gäbe es kein Chaos mehr. Ein Einlaufstück kommt auf den Tisch des Amtsleiters oder von dessen Stellvertreter, der schreibt drauf, was damit zu machen ist, dann wird es dementsprechend protokolliert und dem Bearbeiter weitergeleitet. Im Normalfall benutzt man für die Protokollierung einen Referatsbogen. Wenn alle sich daran halten, kennen sich alle aus. Das ist der maria-theresianische Aktenlauf. Also trotteleinfach.«
»Sehr interessant«, sagte Sally. Sie machte sich eifrig Notizen. Sie konnte dem Attaché ansehen, dass er nicht wusste, ob ihr Interesse ehrlich war oder ob sie ihn foppen wollte; er hatte sich ein bisschen in sie verguckt.
Es klingelte an der Tür. Ein Botenjunge mit einem Paket wurde eingelassen, es war die versprochene Freud-Büste aus dem Besitz eines Kairoer Psychiaters. Auf die Büste hatten alle schon dringend gewartet.
Der Kanzler rief:
»Haha, ein Einlaufstück!«
Daraufhin Sally:
»Herr Kanzler, das ist eine Büste von Sigmund Freud!«
Der Attaché:
»Die hat bestimmt einen Zettel um den Hals, also ist es ein Einlaufstück. Sie können die Büste sogar protokollieren. Und jetzt muss ich weg, ich bin schon ziemlich spät dran.«
Man sah, dass der Attaché zufrieden war. Klara machte ein schüchternes Gesicht. Sally ebenfalls, aber in einer Schüchternheit, der man anmerkte, dass etwas dagegen aufbegehrte.
»War das die ganze Einführung?« fragte sie enttäuscht.
»Mehr gibt’s nicht«, sagte der Attaché. Ihm fehlte die Motivation, weil die Direktorin sich abgesetzt hatte. »Wenn sich Gott bei der Einrichtung der Welt an die maria-theresianische Kanzleiordnung gehalten hätte, wären wir heute besser dran.«
Er machte sich auf den Weg zum Essen im Gezira-Klub, nirgendwo besser in ganz Kairo, der Kanzler schloss sich an zwecks vertraulicher Gespräche, komische Typen. Sally und Klara blieben zerknirscht zurück, sie dachten, jetzt bekommt die Direktorin bestimmt gesagt, ihre Sekretärinnen hätten sich über die mangelnde Organisation im Imperium beklagt. Das war gefährlich. Sally kannte sich aus mit den Gemütsverfassungen ihrer Chefin. Wenn diese Frau wütend wurde, machte sie einem mehr Unannehmlichkeiten, als eine durchschnittliche Phantasie sich ausmalen kann.
»Vor allem wären wir besser dran, wenn hier schon am Vormittag Alkohol ausgeschenkt würde«, sagte Klara.
Sally pustete heftig Luft aus, sie rutschte auf dem Hintern bis ganz an die vordere Stuhlkante und faltete erschöpft die Hände über ihrem Bauch. Die Zustände am Kulturinstitut waren eine ständige Belastung, hier wurde sie täglich dran erinnert, dass sie immer alles alleine durchstehen musste. Nur Alfred bildete eine Ausnahme. Wenn er in den vergangenen Wochen nicht gewesen wäre und sie zum Lachen gebracht hätte, hätte sie den Krempel längst hingeschmissen, Schluss, aus, wer bin ich, dass ich mir das bieten lasse?! Für diesen Schritt sprach praktisch alles, bis auf eines: dass sie Geld verdienen musste, wenn sie hier studieren und Sprachen lernen wollte.
Die
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