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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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alles grandios, aber stimulierend, sehr aufregend.
    »Ich bin gespannt, was noch wird«, sagte sie aufrichtig, mit einer gewissen Nachlässigkeit. Sie gab ihre Gefühle nie ganz unbefangen preis, es blieb ein Beigeschmack des Verbotenen.
    »Ich jedenfalls – – – ich kann nicht mehr zurück. Ich will nicht mehr zurück«, sagte Alfred.
    Es war Schlafenszeit, sie lagen nebeneinander. Alfred spielte mit Sallys Haar, sie erzählte, dass die Locken in ihrerKindheit wie ein Barometer gewesen seien, die Art der Kräuselung habe Rückschlüsse auf die Luftfeuchtigkeit zugelassen. Ihr Großvater, der alte Depp, habe die Locken begutachtet und daraus das Wetter vorhergesagt. Zur Auswahl seien gestanden: Sturm, Vielregen, Regen-oder-Wind, Veränderlich, Schönwetter, Beständigschön und Sehrtrocken. Alfred dachte: Beständigschön. An einem Regentag . Sally erwähnte die strikten Moralvorstellungen zu Hause und dass zwischen Gehorchen und Geliebtwerden ein untrennbarer Zusammenhang bestanden habe. Sie habe sich nach jedem Zeichen von Freiheit gestreckt. Alfred hörte zu, er konnte seinen Darm rumoren hören, durch die Doppelfenster drangen die Geräusche der Stadt. Sally sagte, in ihrer Kindheit sei ihr alles so schäbig vorgekommen, hart und rau und dunkel, das Schulegehen im Dunkeln, das Milchholen im Dunkeln, mein Gott, war das lausig dort. Alfred befühlte ihren Bauch, der viel stiller war als seiner, er hielt die Luft an, er sagte sich, das alles muss ich mir merken, ein wenig höher, die Erhebungen, tiefer, das Raue, das musst du dir merken, weiter unten, die leicht geschwollenen, faltigen, halboffenen Lippen. An einem Regentag. Und sag ihr, wie Liebesgedichte bei den Reitervölkern beginnen, bei den Wüstenvölkern: An einem Regentag . Und sag ihr: Deine Haare sind beständigschön, Vielregen, Sturm, dein Körper, Fuß, Knie, Schenkel, Vielregen, Sturm. Und immer sag ihr, beständigschön, und dass du, sag ihr, dass du, Knie und Schenkel, sag ihr, dass du sie liebst, sag ihr, dass du ihr ein Kind machst an einem Regentag.
    Er war ganz still, Sally war ganz still, Alfred spürte sein Herz, es ging wie verrückt, selbst die Sharia al-Nil war still,und horch, wenn du dich anstrengst, kannst du Am Abdon schnarchen hören. Hörst du es?
    »Jetzt hör ich’s auch«, flüsterte Sally.
     
    In der Früh war Alfred mit dem Duschen an der Reihe, Sally musste die Plastikbütte in die Küche tragen. Alfred schrie unter der Dusche:
    »Oh! Ah! Was für ein Fest!«
    Sein Gesichtsausdruck war gelöst und selbstsicher, mit von Glück erhellten Augen, wie immer, wenn sie miteinander geschlafen hatten. Wirkt Wunder! Sally schaute ihm beim Rasieren zu und föhnte ihm die Haare. Beim Frühstück hörten sie wie jeden Morgen BBC World, in Budapest weiterhin Minusgrade, Tendenz fallend.
    »Wien ist ein Grab.«
    Schon im Bad hatten sie aus Am Abdons Radio vernommen, dass die Entscheidung über eine nächtliche Ausgangssperre vertagt worden war. Sally brachte die Rede auf das Freud-Dinner, das jetzt gesichert war. Alfred zuckte die Achseln, ihn ärgerte, dass er durch das Dinner um einen Abend mit Sally gebracht wurde, er war nicht eingeladen. Sally versuchte ihn zu trösten, indem sie ihm den Milchbart von der Oberlippe küsste, aber er setzte sein Brummen fort.
    Nachdem Sally gegangen war, räumte Alfred in der Küche auf. Er säuberte das Kinderpfeifchen, dann schrieb er weitere Briefe, die er auf das Kulturinstitut tragen und dort aufgeben wollte. Er ließ sich für alles die nötige Zeit. Seine Eingeweide plagten ihn ein wenig, ihm kam vor, ein weiterer Gallenstein machte Anstalten, bald abzugehen. Andie Schmerzen hatte er sich fast schon gewöhnt, er steckte trotzdem Tabletten ein, bevor er die Wohnung verließ.
    Am Abdon wischte im Eingangsflur mit viel Seife und Wasser den Boden. Das flinke Schlappen seiner Pantoffeln und das Klatschen des herumgeworfenen Lumpens war schon auf der Treppe zu hören gewesen. Alfred erkundigte sich, ob die Ausgangsperre noch kommen werde.
    »Warum sollte sie, Bey Fink?« antwortete Am Abdon. »Jeder weiß doch, dass die Ägypter das am leichtesten regierbare Volk auf Erden sind. Man kann mit ihnen machen, was man will.«
    »Es stimmt, sie sind friedlich«, bestätigte Alfred. »Im Gegensatz zu den zivilisierten Libanesen bringen sie sich nicht gegenseitig um.«
    Alfred öffnete das Brieffach und fand zu seiner Überraschung, wo üblicherweise nur Staub und eventuelle Reste von Mahlzeiten lagen, einen

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