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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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Dahinziehen des so ruhigen Stromes, das Wasser Richtung Qasr al-Nil Brücke glitzerte von den Lichterketten, mit denen die Brücke behängt war.
    Um wie viel lieber, als sich mit Leuten zu Tode zu langweilen, die ihn nicht mochten und auf die er nicht neugierig war, wäre Alfred mit Sally zwischen den Palmen gesessen und hätte Zukunftspläne geschmiedet. Er dachte: Was will die Direktorin von mir? Die Beziehungen normalisieren? Das kann ich mir schwer vorstellen. Aber gut, was soll’s, nur Mut, armer Freund! Wenn es zu spät ist, wirst auch du in deiner Schlichtheit begreifen, wozu das Arrangement gedient hat.
    Er trat über den Steg, Puls erhöht, man konnte sein Unbehagen an den eckigen Bewegungen erkennen. Heiße Luft und Gelächter wallten ihm aus dem brechend vollen Saal entgegen. Die Stimmung an Bord schlug bereits Wogen, der Wein von den Hängen des Donautals tat seine Wirkung, dazu kam die Belustigung über die an den Haaren herbeigezogenen Erklärungen, was die gereichten Speisen mit Sigmund Freud zu tun hatten. Zwei Gänge waren bereits abserviert: Aalcreme und Steinpilzconsommé. Wer zugehört hatte, war unterrichtet, dass der Vater der Psychoanalyse als Student die Hoden und Spermien des männlichen Aals hätte finden sollen und dass er in späterenJahren hin und wieder zum Pilzesammeln gegangen war.
    Sally führte Alfred zu seinem Platz. Seine blaue Anzugjacke war schmal geschnitten und warf Falten in den etwas fülligen Hüften. Graue Hochwasserhosen sorgten dafür, dass auch die Socken nicht zu kurz kamen.
    »Trink keinen Alkohol«, flüsterte Sally.
    »Wollen mich die Lemuren abfüllen?« fragte er bang lächelnd.
    »Wegen deiner Galle, Alfred!«
    Er fühlte sich linkisch neben Sally, die er nicht berühren durfte, und schon im Voraus befangen, weil ihm der höhere gesellschaftliche Schliff für solche Anlässe abging. Notabene, in dem oberösterreichischen Dorf seiner Kindheit hatte er das Rüstzeug für das Table-d’hôte-Essen nicht mitbekommen, er war ein Mühlviertler Bauer, wie seine Mutter es ausdrückte, erheblich avanciert in der Kunst des Reindlauskratzens.
    Reihum grüßend setzte er sich. Gerade wurde eine der Zwischennummern gegeben. Der Ablauf der Veranstaltung sah vor, dass zwischen den Gängen jeweils in einer anderen Sprache ein kurzer Text von Freud vorgetragen wurde. Im Sprachenbabel Kairo war praktisch alles zu bekommen, die Internationalität hatte zweifellos ihr Gutes. Ein Franzose, der aussah wie ein Auftragsmörder, stand am Mikrofon und rezitierte aus einem abgegriffenen Taschenbuch. Die Lautsprecher waren so weit aufgedreht, dass die Gäste reden konnten, ohne aufzufallen. Von dieser Möglichkeit wurde reichlich Gebrauch gemacht, umso mehr Beifall erhielt der Vortragende, als er geendet hatte.
    Jetzt wurde das Hauptgericht aufgetragen. Großgewachsene Suffragis, deren Haar ölig geglättet war, schlängelten sich mit Tellern zwischen den Tischen durch. Es war die Fledermaus, jener vom Beckenknochen umschlossene Strang des Rindes, der, in Scheiben geschnitten, eine Faserstruktur besitzt, die in ihren Umrissen einer Fledermaus ähnelt. Die alpenländisch dekolletierte Direktorin analysierte Freuds zwanghaften Rindfleischkonsum, dann musste die Operette von Johann Strauß herhalten mit der unsterblichen Nummer Glücklich ist, wer vergisst . Freud habe nicht nur entdeckt, dass das Unterbewusste als Herr im Haus den Menschen ein Leben lang regiere, sondern auch, dass froh sein könne, wer’s ein Leben lang nicht merke. Die Gäste wanden sich vor Vergnügen.
    Alfred drehte sich seinem linken Nachbarn zu, den er vom Sehen kannte.
    »Als ich einmal ein Abklatschbild als Fledermaus interpretiert habe, hat die Psychologin gesagt, ich würde meinen Vater hassen. Dabei stimmt das überhaupt nicht.«
    Der Nebenmann zog die rechte Braue hoch, sie machte einen Katzenbuckel, die linke Braue blieb unbewegt. Er fragte, ob Alfred in letzter Zeit im Bazar etwas gefunden habe. Alfred verneinte, teils zu Recht, weil die Höhepunkte immer rarer wurden. Darauf lachte der Kerl und sagte kindisch, dass er alles gekauft und auch Leila und Wissa-Wassef geplündert habe.
    Diese Behauptung vermehrte Alfreds Unbehagen. Ich wusste es! Warum bin ich nicht zu Hause geblieben, ich Idiot, jetzt muss ich mich provozieren lassen! Das dachte er. Und obwohl ihm das Herz bis zum Hals hinauf schlugund auch übers Rückgrat hinunter reger Betrieb zu verzeichnen war, fühlte er sich mit gleichgültiger Miene

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