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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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Traum von der Dobostorte erst zu Ende geträumt oder wenigstens gedeutet werden, ehe er gänzlich zerstieben durfte. Der Abend hatte jetzt einen fiebrigen Glanz und eine erhöhte Stimmigkeit, als hätte die Direktorin dem Wiener Quacksalber zu Ehren die Portugiesen,Franzosen und Deutschen über Bord geworfen, eine frische Leimrute für das Unterbewusste der Gäste, das bot reichlich Analysestoff.
    »Irgendetwas muss ihr in die Krone gefahren sein«, sagte Alfreds Tischnachbar.
    »Sieht ganz so aus«, gab Alfred gleichgültig zurück, ohne den Halunken anzusehen. Er äugte angestrengt in den Saal.
    Sally kam von der Seite und verteilte Zigarren an die Honoratioren der vorderen Tische. Ägyptische Ware. Ein älterer Mann umarmte im Sitzen Sallys Oberschenkel, wer wird denn gleich. Rasch suchte sie Alfreds Blick. Aber Alfred vergaß ganz, eifersüchtig zu sein, weil zur gleichen Zeit die Direktorin erklärte, meine Damen und Herren, dass Freud gesagt habe, auch in Träumen sei eine Zigarre manchmal nur eine Zigarre.
    »Und im Leben sowieso. Leider«, fügte sie hinzu.
    Das war zweideutig, sehr zweideutig. Die Direktorin blies sich kurz auf. Darf ich das sagen? Wie wurscht mir das ist, soufflierte die Herrlichkeit des Abends.
    »Aufgrund eines Gaumenkrebses hat Freud am Ende seines Lebens so stark aus dem Mund gestunken, dass sogar seine Hunde ihn gemieden haben.«
    Befangenes Gelächter. Sally hoffte, der Abend war bald vorbei, das nahm und nahm kein Ende. Frau Professor Berg starrte auf das Tischtuch und summte »Oh!«. Alfred rieb sich feixend die Wange, als habe er gerade vom Dorfpfarrer eine Ohrfeige erhalten. »Ah!« Dann steckte er sich kopfschüttelnd eine Zigarette an, eine zerknitterte Cleopatra . Das war ja ein Ding!
    Kurz darauf schaltete ein Alleinunterhalter seinen Heurigenverstärker ein. Der Mann stammte aus Pöchlarn an der Donau, arbeitete im Hauptberuf als Fremdenführer bei den Großen Pyramiden, und seine Aufgabe war es, den Abend mit Wienerliedern abzurunden. Die ersten Akkorde erklangen. Die anwesenden Österreicher sangen stehend mit, unter ihnen der Attaché, der Kanzler, der Botschafter, das Ehepaar Berg und Alfred. Hoch die Becher! Sehr fidel. Sally sah es von einer Ecke neben der Garderobe aus. Der Anblick fühlte sich an wie eine Halluzination, so erschöpft war sie schon.
    Es wird a Wein sein, und mir wern nimmer sein. Drum gniass ma’s Lebm, so langs uns gfreit. S wird schöne Maderln gebm, und mir wern nimma lebm. Drum greif ma zua, grad is no Zeit …
     
    Als die Gesellschaft sich schon aufgelöst hatte und die Abrechnung erledigt war, fragten Sally und Klara, ob sie am nächsten Tag später anfangen dürften. Die Antwort der Chefin kam sehr freundlich, wenngleich mit einer Artikulation, die bereits ein wenig teigig war.
    »Ihr müsst schon pünktlich im Amt sein, ihr zwei Nichtsnutze. Aber ich komme später, ich bin nämlich die Direktorin.«
    Das war der Schlusssatz des Freud-Dinners.
    Sally ging zu Alfred. Er saß allein an seinem Tisch und schlief mit dem Kopf auf den ausgebreiteten Armen. Sally fand, Menschen, die an einem Tisch vom Schlaf übermannt werden, sind ein trauriger Anblick. Sie weckte Alfred, egal, soll’s doch sehen, wer will. Er stand auf mit apathischer Fügsamkeit, sie legte ihren Arm um seine Hüfte, und wankendverließen sie das Schiff, die Gesichter gezeichnet von Mühe, Trug und Liebe. Vor ihnen brannten die trüben Lichter der Uferpromenade in Rot und Gelb. Dahinter waberte die rauchige Düsternis der Stadt in der weichen und warmen Nacht. Die Luft war lau vom Schlaf einiger Millionen Menschen, vieler Tausender Hunde, Esel und einiger Nilpferde und von den Abertausenden auskühlenden Autos. Mit schmerzenden Beinen gingen Sally und Alfred die beleuchtete Treppe hoch zur Promenade. Jetzt knirschte unter ihren Sohlen der ewige Wüstensand. Sally spürte Alfreds Hand in den Bund ihres Rockes fahren, und plötzlich machte es ihr nichts mehr aus, die eigene Hand aufs Herz zu legen und zu sagen:
    »Du, ich bleibe.«

 
    7
     
    An Maria Himmelfahrt hauchte einen plötzlich ein kaltes Gefühl an, eine frostige, feuchte Brise, und ein unangenehmes Rauschen wurde hörbar, von dem der antike Seefahrer gedacht hätte, jetzt kommt der Rand der Welt. Maria Himmelfahrt war die Wendemarke, dort ging der Sommer zur Neige, und das Tempo der verstreichenden Tage nahm rasch zu. Bis zum Schulanfang fehlten nur noch zwei Wochen. Hilfe! rief Sally. Was ist mit meinen Ferien? In all

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