Alles über Sally
seine jetzt dringend benötigte Zigarette anzuzünden. Der Attaché musste tief in seiner Schublade graben, bis er eins gefunden hatte. Nach dem ersten Lungenzug versprach er, den genauen Verlauf des Aktes zu verfolgen und sich zu melden.
»Ich werde darauf zurückkommen«, versprach Alfred.
Die Unmöglichkeit des Betragens ihres Stellvertreters war auch der Direktorin aufgefallen. Sie lächelte sanft, weil sie ein weiteres Beweismittel für die Unfähigkeit dieses ihr lästigen Kollegen gesammelt hatte. Ja, mit einem Gesichtsausdruck, der sagen wollte, jetzt müssen die Vernünftigen zusammenhalten, wandte sie sich an Alfred.
»Herr Doktor Fink, Sie wissen, wer den Nil befährt, muss Segel haben, die aus Geduld gewebt sind. Kommen Sie am Abend zu unserem Freud-Dinner. Ich werde Klara anweisen, Sie auf die Gästeliste zu setzen.«
»Meine Diät verbietet es mir, mehr als Wasser zu trinken«, sagte Alfred abwehrend.
»Sie sind auch als Wassertrinker willkommen«, sagte die Direktorin. »Unter den wilden Tieren das wildeste ist der Mensch, der Wasser trinkt.«
Mit diesen Worten trollte sie sich. Der Pegel von AlfredsParanoia stieg sofort an. Er fragte sich: Ist das ein Trick? Was wollen die von mir? Mich aushorchen? Das wird ihnen nicht gelingen!
Der Attaché indes, froh, das Thema wechseln zu können, verkündete:
»Als Hauptspeise gibt es Fledermaus. Die hängen hier nachts büschelweise in den Palmen, man muss sie nur einsammeln.«
»Wie rührt mich das!« sagte Alfred und ging. Vor lauter Heuchelei konnte er nicht mehr atmen, es schüttelte ihn regelrecht.
Am Nachmittag ging Alfred ein Gallenstein ab, er fuhr nach Hause, nahm nochmals eine Schmerztablette und legte sich hin. Zwischendurch kochte er sich eine Buchstabensuppe aus der von zu Hause mitgebrachten Reserve und schlief dann weiter. Als er wieder aufstand, hatten die Schmerzen nachgelassen. Der Himmel draußen war klar, die Luft sehr lau. Also setzte er sich zum Arbeiten auf den Balkon und tippte auf seiner Schreibmaschine Nachträge für Materialien III. Als Sally kam, um sich für den Abend etwas anderes anzuziehen, blätterte er gerade in einem Katalog über jemenitische Burkas. Er sagte, er habe schon mindestens fünfzehnmal hinunter auf die Straße geschaut, ob sie endlich käme.
Alfred berichtete vom Geldsegen und von seinem Besuch bei den Lemuren. Sally aß den Rest der Buchstabensuppe. Die Behauptung des Attachés, er habe nicht gewusst, dass Alfred für das MfVk arbeite, fand sie empörend. Sie lobte Alfred, dass er sich zu keiner Unbedachtheit habehinreißen lassen. Er solle seinen Weg stur weiterverfolgen, dann halte ihn nichts auf, rein fachlich:
»Alfred, rein fachlich hast du niemanden zu fürchten. Solche Leute wie der Attaché, die in ihrer Verschanzung gegen alles Neue versuchen, junge Menschen zu entmutigen, giften sich kaputt, wenn du trotz aller bösen Prognosen florierst.«
Alfred war baff über so viel Schützenhilfe. Mit plötzlicher Heftigkeit verspürte er die sichere Gewissheit, dass das einzige Gefühl, das ihn in seinem Leben nicht mehr verlassen würde, seine Zuneigung zu Sally war, ganz gleich, was passierte. Die ausfransenden Ränder ihres Wesens verunsicherten ihn, sie konnte, wenn sie wollte, etwas recht Unberechenbares haben. Doch was bei anderen Frauen anstrengend war, empfand er bei ihr als Bereicherung. Sally hatte etwas von einer Glücksbringerin. Manchmal, wenn sie ihn umarmte, fühlte er sich völlig beschützt. Mit ihr konnte ihm nichts passieren.
Das Geflatter und Gekreische im letzten Tageslicht, wenn die Vögel zu ihren Schlafstätten eilten, war verklungen. In einem dunstigen Rot plumpste die Sonne hinter die Türme der Altstadt, dort war die Wüste. Die herunterrauschende Dämmerung und die Rufe der Muezzins gaben den Geheimnissen der Menschenleben für wenige Minuten ein wenig Zauber, dann war es dunkel. Die Stimmen, die aus offenen Fenstern schallten, klangen jetzt nicht mehr wie Sprechgesang, sondern hart, aggressiv oder nah am Jammern. Für Alfred hatte Kairo bei Nacht etwas von der Wirkung des Sphinx, den der Volksmund Abu hol nennt, Vater des Schreckens.
Auf der Saray al-Gezira gab es freie Parkplätze. Für das Freud-Dinner war ein Restaurantschiff gemietet worden, es ankerte an der Nilpromenade beim Andalusischen Garten. In dieser Gegend war die Beleuchtung so dürftig und matt, dass Alfred an Kriegszeiten denken musste. Er kniff die Augen zusammen und betrachtete das träge
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