Alles über Sally
von schwacher Intelligenz, das von seinen Trieben beherrscht wird. Schwer zu reparieren.
»Nein. Bitte. Nicht.«
»Oder vielleicht doch?«
Seufzer. Sally fand den Gedanken eigentlich ganz nett, dass man bei zweien bleiben könnte, aber so war die Welt halt nicht.
»Lass deine Handgreiflichkeiten, sag ich.«
»Ich würde gern sehen, was du da drunter an hast.«
»He! Finger weg!« fauchte sie. »Dass du ein großes Ekel bist, weiß ich, das brauchst du mir nicht mehr zu beweisen.«
»Ich will es wiedergutmachen.«
»Das Wiedergutmachen überlass mir. Ich schäme mich auch für dich.«
»Das würdest du für mich tun?« fragte er und bewegte sich wieder auf sie zu.
In dem Moment kam der Attaché herein, er taxierte das Dargebotene mit einem feinsinnigen Zucken der Nasenlöcher, dann kommentierte er es mit den Worten:
»So – – so.« Und seine Stimme senkte sich.
»Sind Sie gekommen, um uns solche Weisheiten aufzutischen?« schnauzte der Botschaftssekretär.
Der Attaché stieß spöttisch Luft aus.
»Es bahnt sich etwas an«, sagte er zu Sally. »Die Chefin kocht vor Wut.« Er ließ ein heftiges Gelächter los, das nach Schwefel und Ziegenfuß roch.
Gott, bin ich blöd, ich hätte mich krankmelden sollen! dachte Sally. Sie ging zurück in den Saal, so kam sie wenigstens von den beiden Idioten weg.
Am Podium stand die letzte Lesung bevor. Dieser Programmpunkt gehörte einem männlichen Paar aus Lissabon, das vorne neben der Bühne den Auftritt erwartete. Die beiden waren als Mädchen verkleidet, trugen dirndlartigeSchürzenkleider und blonde Zopfperücken, und ihre Münder waren knallrot geschminkt. Schon vor einigen Tagen hatten sie die Direktorin gefragt, ob sie ihren Text gemeinsam vortragen dürften. Die Direktorin hatte es ihnen strikt untersagt. Jetzt gingen sie zu zweit ans Mikrofon, singend und tänzelnd trugen sie ihren Text vor, und wenn schon, den Gästen fiel nichts auf, es passte perfekt zum Abend, es verstand eh keiner was.
Die Direktorin jedoch, die aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht dulden konnte, dass man sich ihrem Willen widersetzte und damit ihre Macht schmälerte, rief erzürnt:
»Das ist unerhört!«
Stöckelklappernd lief sie zur Bühne, so schnell, als ob sie zum Tanzen wollte und dabei gern riskierte, dass ihre Brüste aus dem Kleid sprangen. Sie platzte in das freudianische Singspiel hinein und nahm dem kleineren der gedirndelten Portugiesen das Mikrofon weg, die Zopfperücke rutschte dem Mann vom Kopf, die rotspiegelnde Schädelhaut sprang hervor, dunkel umkränzt.
Die Direktorin rief entschlossen:
»Fort mit euch! Saboteure!« – Ganz nach dem Motto, dass Ärger zu verdrängen nur zu Komplexen führen kann, weshalb es äußerst wichtig ist, sich schnell abzureagieren. Sie holte mit dem Mikrofon aus. Man sah die Portugiesen schon mit ausgestreckten Beinen auf der Bühne liegen. Doch die beiden sprangen behände zur Seite, verneigten sich großschnauzig grimassierend und stürzten zu ihrem Tisch. Die Direktorin rannte hinterher, um ihnen zu sagen, dass sie Arschlöcher seien und verschwinden sollten mit ihremganzen Pack. Sie deutete mit dem Kopf zur Tür und zur großen, aufnahmebereiten Nacht.
»Ja, ihr seid Arschlöcher!« betonte der Ehemann der Direktorin, der hinzugeeilt war.
Daraufhin standen die Portugiesen mit der ganzen Tischgesellschaft auf und verließen das Schiff. Zufälligerweise war auch die Chefetage des Französischen Kulturinstituts und der bundesdeutsche Botschafter dabei, speziell Letzterer ließ sich nicht zweimal bitten, trotz oder wegen seiner Kenntnisse der nachbarschaftlichen Kinderstube. Seinen Sekretär nahm er ins Schlepptau – der würde Sally nicht abgehen. Jetzt war der Tisch verwaist. Für einige Augenblicke wurde es recht still im Saal. Sally kam es vor, als schätze die Direktorin den Eindruck ab, den sie hinterlassen hatte. Sie durfte zufrieden sein. Die verkrampften Kieferknochen lockerten sich, hinweg mit der Unmutsfalte auf der Stirn, fort mit euch, ihr dummen Sorgen, die Welt lohnt den Kummer nicht! Sanft lächelnd ging sie zur Bühne, ganz damenhaft, sie kündigte das Après-Souper an.
»Dobostorte und Zigarren.«
Der Dobostorte komme in Freuds Traumdeutung eine besondere Rolle zu. Welche Rolle? Hatte die Direktorin vergessen, und ihre Notizen waren ihr in der Aufregung abhandengekommen. Sally schaltete nicht schnell genug, das Manuskript lag am Tisch. Nochmals nahm die Stille im Saal zu, es war, als müsse der
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