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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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seinem Gesudere ersticken, sie bekomme Beklemmungszustände beim Zuhören, aber das brachte sie nicht fertig.
    »Warum redest du mich so voll?« fragte sie stattdessen.
    Und er sagte:
    »Weil du mich nicht liebst.«
    »Bitte, lass die Kirche im Dorf!«
    »Du betrachtest mich als lästigen Mitbewohner«, sagte er betrübt, »für den du mal mehr oder weniger Geduld aufbringst.«
    Wenn sie ehrlich war, erkannte Alfred die Lage richtig. Ihr Verliebtsein hatte seltsame Auswirkungen, manchmal machte es sie Alfred gegenüber aggressiv, weil er ihr im Weg stand, dann wieder liebensfähig und leutselig, weil sie glücklich nach Hause kam und mit Dankbarkeit feststellen durfte, wie bereitwillig er sich betrügen ließ. Ob sich Alfreds Ahnungslosigkeit auf sein Versagen gründete, Sallys Tücken zu durchschauen, oder auf der unauslotbaren Fähigkeit, sich selber hinters Licht zu führen und gewisse Dinge nicht zu merken, obwohl sie leicht zu merken wären, machte ebenfalls keinen Unterschied. Beides legte sie ihm wahlweise zum Guten oder Schlechten aus, je nach Gemütsverfassung.
    Unterm Strich brüllte sie zu Hause weniger herum als zu anderen Zeiten, dafür umso heftiger, wenn man sie amfalschen Fuß erwischte. Kamen mehrere Dinge zusammen, Ärger in der Schule, die Unzufriedenheit, weil sie Erik nicht sehen konnte, und Alfreds schreckliche Verfassung, wenn er am Küchentisch Löcher in die Luft starrte, fiel es ihr zunehmend schwer, ihren Zorn zu unterdrücken. Sie hatte auch immer weniger Angst vor einer Konfrontation. Sie lockte Alfred in Streitgespräche, in gewisser Weise waren das inszenierte Gespräche mit geschliffenen Sätzen, die Sally vorbereitet hatte, um sich zu beweisen, dass Alfred es nicht besser verdient hatte. Einige harte Auseinandersetzungen lagen bereits hinter ihnen. Sally hatte sogar versuchsweise das Wort Scheidung ausgesprochen, um zu prüfen, wie es sich anhörte. Manchmal sah sie in Alfred nur mehr einen müden, kleinkarierten Spießer, der nichts erleben wollte, über die Qualen des Erlebens Tagebuch führte und vor dem Schlafengehen seine Angstüberschüsse zur Ader ließ, indem er unters Bett schaute. Selbstverständlich hoffte er, unter dem Bett nichts Erwähnenswertes zu finden.
    Sally glaubte, nie wieder etwas Liebenswertes an Alfred entdecken zu können. Das Grundproblem bestand darin, dass er seit dem Besuch im Juli zu einer Marionette seiner Ängste geworden war und gleichzeitig als typisch Mann herumlief, während er in ihr nur Schema F sah, F wie Frau. Er brauchte von ihr ständig Brustfütterung oder ging ihr um den Hintern oder suchte in ihr ein verdammtes Kindermädchen für alles. Er konnte sich nicht alleine die Tür aufmachen. Sally ließ ihn auflaufen, sie stellte sich auf den Standpunkt, dass sein Verhalten ihres ausreichend rechtfertigte. Wenn möglich zog sie sich nach dem Heimkommenrasch zurück und überließ Alfred sich selbst. Sie versorgte die Schildkröten, telefonierte mit Erik oder stieg in die Badewanne, wo sie den Kopf an den hinteren Wannenrand legte und an Seehunde dachte, die sich in der Sonne wärmen. Ihr Körper entspannte sich im Wasser. Und manchmal gelang es ihr sogar, eine halbe Stunde Schlaf zu erwischen. Der Schlaf machte sie wieder ansprechbar für andere Menschen im Haus.
     
    Der Geruch des verschütteten Passionsblumenöls war verflogen, wie von einer Brise davongetragen. Sally schlüpfte in ihren neuen Bademantel und kam herunter, wo sie in der Küche auf Alfred traf. Er hatte hier geduldig auf sie gewartet. Er schaute auf, sichtlich gefiel ihm Sally, aber er nicht ihr, er war ein netter Kerl, doch nett war zu wenig.
    Als er sich nach dem Geschirrtuch streckte, um sich die Hände abzutrocknen, sah Sally, dass er den Thrombosestrumpf trug. Er mochte sich noch so bemühen, den Strumpf zu verbergen, Sally wusste täglich Bescheid.
    Sie zeigte mit dem Finger darauf, Alfred blieb kurz die Luft weg. Er sagte fast stotternd, der Fuß sei jetzt wieder so geschwollen. Er sah bekümmert drein. Sally fiel auf, dass seine Nase immer größer wurde, die Frisur war genaugenommen grauslich. Und einen schönen Mund hatte er auch nicht, die Züge wurden immer weicher, es sah teigig und unwirklich aus. Kann sein, er hatte schon immer so ausgesehen, und Sally hatte ihn nur mit anderen Augen betrachtet. Alfred wirkte entsetzlich alt, während sie selber sich in ihrer Verliebtheit fühlte, als hätte sie alle Wunden und Narben abgestreift.
    Sie redeten miteinander. Sie

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