Alles über Sally
waren sich einig, dass die Beziehung seit mindestens fünf Jahren sukzessive schlecht geworden war, über den Auslöser konnten sie nur rätseln. Alfred sagte, so oder so, der Karren sei verfahren, sie müssten unbedingt schauen, dass sie wieder zueinander fänden. Er habe keine Lebensfreude mehr, er habe Angst, Sally gegenüber etwas falsch zu machen.
»Ja?« fragte sie. »Oder sind das Ausreden?«
Sie machte ihrem Frust Luft, indem sie unverblümt sagte, was sie dachte, keine Action, ein eintöniges Sexualleben, stattdessen Thrombosestrumpf und Stubenhockerei. Es gebe genug andere, die sie weiterhin attraktiv fänden, und von ihm kein Wort, keine Spontaneität.
»Das stinkt mich an«, sagte sie.
Sie sei hart geworden, gab Alfred zurück, er habe Angst vor Spontaneität.
»Aha?« – Ob es nicht vielleicht an seiner Einstellung liege. Er wolle nichts mehr erleben, sammle seine Pensionszeiten und warte ab, bis alles schmerzlos vorüber sei. Sie wisse nicht, was er noch vom Rest seines Leben erwarte, er habe keine Meinung mehr zu dem, was in der Welt passiere, sie erkenne bei ihm keine Neugier mehr für Dinge, die außerhalb seines eigenen Trübsinns angesiedelt seien, Neugier für andere Menschen, andere Frauen, er solle sich eine Freundin suchen, ihr wäre es recht, wenn es ihm helfe, aus seinem Stimmungstief herauszufinden.
Es ging dann um Seitensprünge und Alfreds zutiefst verstockte Haltung. Er beteuerte, er verließe sofort das Haus, wenn es bei ihm eine andere Frau gäbe. Sally erklärte ihm, wie sinnlos eine solche Einstellung sei. Daraufhinfragte er, ob sie auf etwas vorbauen wolle. Sie verneinte. Er hakte nach, er glaube, sie habe etwas zu verbergen. Sie erwiderte, sie hätten alle etwas zu verbergen, er seinen Strumpf, sie ihre kleinen Geheimnisse. Schon ihre Großmutter habe gesagt, Sally, du bist ein Kind mit einem glücklichen Geheimnis. Und apropos, sie wechselte das Thema, sie fand, es war jetzt naheliegend, über das zu reden, was ihr ständig im Kopf herumging. Es war ein Thema, das sie auch mit Alfred gerne teilte: Erik.
Sally mochte verrückt nach Erik sein oder einfach nur verrückt, aber nicht verrückt genug, um zu übersehen, dass Erik Schwächen hatte. Sie wusste wie jeder, außer vielleicht Nadja, welche Schwächen das waren. Doch da Sally nicht mit ihm zusammenlebte, hatte sie sich nicht damit herumzuschlagen. Sie brachte das Gespräch darauf, wie verschwenderisch er war und zur selben Zeit, laut Alfred, knauserig oder billig in anderen Dingen, wenn sie ihre Männerausflüge machten. Billigkeit war eine Seite, die Sally an Erik nie aufgefallen war. Da warf der Topf dem Kessel vor, er sei schwarz. Sie redeten über die vielen Geschenke, die Erik Nadja machte, und Sally fragte, ob es aus schlechtem Gewissen geschehe, zum Beispiel wegen einer anderen Frau. Alfred sagte ganz entschieden:
»Nein!«
Dieses Nein wollte Sally nicht gelten lassen, das löste einen lebhaften Wortwechsel aus, der zusammengefasst Folgendes ergab:
Alfred legte seine Hand dafür ins Feuer, dass Erik das Musterbeispiel eines treuen Ehemanns war, während Nadja sich auf ihren Lorbeeren in Sachen Ehebruch nicht ausruhenwürde, bis sie auf dem Sterbebett lag. Sally, die es verstand, inmitten des feinen Lügengeflechts, in das sie Alfred einhüllte, an einzelnen Wahrheitskernen festzuhalten, bestand darauf, Alfred lasse sich bluffen, sie vermute das genaue Gegenteil. Erik sei weniger harmlos, als er vorgebe, stille Wasser und so weiter. Alfred empörte sich, nicht Erik! Sally lachte im Stillen, wusste aber trotzdem nicht, was hinter der Geschenkemacherei steckte. Vielleicht dachte Erik, er habe die Rolle des guten Ehemanns zu spielen, und die Geschenke waren Teil davon. Das mochte alles auf die Anfänge der Beziehung zurückgehen, Sally hatte keine Ahnung. Hier stieß sie auf Dinge, von denen Erik nicht redete und nach denen sie sich nicht zu fragen traute. Was Nadja betraf, war Erik ein vollendeter Gentleman, er sagte kein Wort gegen sie und ließ gelegentlich Komplimente fallen, von denen Sally wünschte, sie könnte sie ihm zurück in die Kehle stopfen. Sie wusste, dass es auch bei den Aulichs Probleme gab, am Anfang hatte Nadja das eine oder andere erzählt, später schien es, als würde sie Sally nicht mehr vertrauen, denn seit zwei oder drei Jahren flossen die Informationen spärlich. Erik und Nadja nahmen die Verantwortung füreinander jedenfalls ernst, das musste man ihnen lassen, Sally hatte es zu
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