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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Bauernhaus gegangen, um etwas Milch zu erbitten, und da war es auch schon passiert. Ihr Dorftreck war weitergefahren, ohne auf sie zu warten!
    Sie nickte, als Drygalski ihr vorschlug, erst mal hierzubleiben. Sie könne sich ein bißchen nützlich machen, Essen kochen, Geschirr abwaschen, immer schön zusammenhalten und so weiter: Sie seien jetzt eine kleine Gemeinschaft. Die Haustür stets geschlossen halten! Und auf die Frau aufpassen, sie waschen und ihr Suppe einträufeln ab und zu.
    So gut hatte es das Mädchen noch nie gehabt, ein Wasserklosett und ein eigenes Zimmer? Zu Hause mit der kleinen Schwester in einem Bett geschlafen?
     
    Peter kletterte in sein Baumhaus, die Armaturen und das Steuerrad, und sah den Trecks nach, weit ausholend kam die lange Schlange aus dem Osten, und wie ein großes S schlängelte sie sich in die weiße Landschaft davon, der verschleierten Sonne entgegen.
     
    Auch die Fremdarbeiter standen an der Straße und sahen sich das an. Sie zeigten sich gegenseitig, was das für Wagen sind und was daraus werden soll, und guck mal den da!
    Da mußte Drygalski natürlich einschreiten. Sich weiden am deutschen Unglück, das konnte nicht geduldet werden. Aber diese Leutchen ließen sich nicht wegscheuchen, die nahmen kaum die Hand aus der Tasche.
    «Habt ihr nichts zu tun?» – «Nein, wir haben hier nichts zu tun.» Für diese Fremden war der Flüchtlingstreck ein Zeichen der Hoffnung. Und sie lachten sich gegenseitig zu: Bald geht’s nach Hause. Drygalski hatte über sie keine Macht. Aber vielleicht doch? Vielleicht käme man ihnen doch irgendwie bei? Mal eine Hausdurchsuchung machen, was da alles zutage tritt? Und ertelefonierte mit dem Arbeitsamt, ob die Leute da wissen, daß dieses Pack auf der Straße herumsteht und nichts tut?
     
    Auch auf Georgenhof ließ er sich sehen, manchmal schaute er sogar mehrmals am Tag nach dem Rechten dort. Heil Hitler. In seiner amtlichen Eigenschaft mußte er das tun, obwohl sich nichts verändert hatte in der Zwischenzeit. Mit dem Tantchen sprach er, und die sah auch alles ein. Es war ja alles nicht so einfach! Aber an einem Strang mußte man ziehen. – Er sagte zu dem Tantchen, was er für eine Verantwortung trägt, und er weiß schon bald nicht mehr, wo ihm der Kopf steht ... Und er wischte sich den Schweiß von der Stirn, obwohl ihm kalt war. Ganz nebenbei gab er dem Tantchen eine hübsche Bescheinigung fürs Trecken. Weil das Tantchen immer so verständig war.
     
    Was noch an Bodenraum vorhanden war in dem großen Haus, notierte er ebenfalls, wer konnte denn wissen, wie sich die Sache entwickelte – die Siedlung war schon voller Flüchtlinge, jedes Haus hatte seine Gäste, aber Georgenhof – das Haus war ja riesengroß, hatte hier denn alles seine Richtigkeit? Hier mußte doch noch viel Platz sein? – Der eiskalte Saal, in dem die Kisten aus Berlin standen. Nein, das konnte man niemandem zumuten. – «Wann werden die Dinger abgeholt?»
     
    Das Tantchen hatte für alles Verständnis, sie redete ihm gut zu. Daß man auf Georgenhof Massen von Menschen aufnehmen könnte, glaubte sie nicht. Und um ihren guten Willen zu beweisen, erzählte sie ihm von dem Maler, daß der abfällig über den Führer gesprochen hätte.
    Sie machte Drygalski auch auf das Waldschlößchen aufmerksam, das war doch mal ein Hotel gewesen?! Dort ließen sich doch gewiß noch Menschen unterbringen in Hülle und Fülle? –
    Lediglich der Seitenflügel war den Fremdarbeitern eingeräumt worden, im Seitenflügel war nichts zu machen. Aber der Tanzsaal und die vielen Hotelzimmer?
    Daran hatte Drygalski natürlich auch schon gedacht, aber auf das Waldschlößchen hatte die Reichserfassungsstelle des NSKK die Hand gelegt, da war nichts zu machen, die hatten dort Ersatzteile eingelagert, Fahrradklingeln und Autohupen. Irgendwo mußten sie ihr Zeug ja lassen, Felgen und Gestänge. Auch die Wimpel und Tribünenteile des letzten Gaurennens durch das Mitkauer Land lagerten dort: Die Transparente «Start» und «Ziel» bewahrte man dort schon seit Sommer 1939 auf. «Gleich nach dem Krieg geht’s wieder los! » wurde gesagt. Reichssieger war man noch nicht geworden, aber nach dem Krieg? Mußte das nicht mit dem Deibel zugehen?
    Drygalski telefonierte mit dem Gau, und die sahen das auch ein, aber im Augenblick war nichts zu machen.
     
    Wenn es um «Wohnraum» ging, war Drygalski unerbittlich, es ging hier schließlich um Höheres! «Und zwar zoffort! » Menschen ohne Dach überm Kopf,

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