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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hungrig und frierend, denen mußte er Obdach verschaffen. Hier hatte sich Volksgemeinschaft zu bewähren.
    Peter sollte sein Zimmer für alle Fälle schon mal räumen, er würde drüben zur Mutter gesteckt werden, das war die einfachste Lösung, das Kabinett lud ja direkt dazu ein. Es war doch das Natürlichste von der Welt, den Sohn zur Mutter zu stecken? Ja, die nächsten Flüchtlinge würde man im Zimmer des Jungen unterbringen. Hatte man noch Bettgestelle irgendwo? Der Dachboden würde nicht zu belegen sein, da rieselte Schnee durch die Ritzen der Dachpfannen. Die Bescheinigung, die Drygalski ausgestellt hatte, faltete das Tantchen zusammen und verwahrte sie sorgfältig.
    Wenn Drygalski jetzt an zu Hause dachte, wurde ihm warm ums Herz. Das junge Mädchen war anstellig. Wer weiß, vielleicht würde sie eines Tages «Vater» zu ihm sagen? Wohl eher «Opa», was? Einerlei. Man kümmerte sich um dieses Kind, dessen Eltern sich verkrümelt hatten. Jetzt würde alles leichter zu ertragen sein. Das Haus immer schön saubermachen und der Frau Suppe einflößen, und wenn es nötig ist, sie auch mal waschen und so weiter. Wie hatte er das bloß all die Zeit über hingekriegt, so ganz allein?
    Es war doch etwas Besonderes, abends nach Hause zu kommen und die Beine unter den Tisch zu strecken, in der warmen Küche, und die Suppe steht auf dem Tisch? Was für ein schöner Anblick, das junge Ding am Herd stehen zu sehen mit seinen dicken Backen. Drygalski blieb gern etwas länger sitzen in der Küche bei ihr, er ließ sich alles mögliche erzählen, aber dann mußte er eben doch wieder hinaus in die Kälte und die Treck- wagen kontrollieren.
    Vielleicht würde sich in Mitkau noch etwas Süßes auftreiben lassen für das Kind?
     
    Dr. Wagner kam jeden Tag. Er ließ es sich nicht nehmen, mit dem Jungen Vokabeln zu üben und Geographie, wo Heidelberg liegt mit dem berühmten Schloß, «von den Franzosen zerstört! Merk dir das, mein Junge ... »,und der Bodensee, dieses herrliche Gewässer, der mal gänzlich zugefroren war, und ein Mensch ritt hinüber ans andere Ufer und wußte gar nicht, daß er übers Eis reitet? Hinterher umgekippt und bums! war er tot?
    Oder die andere Geschichte, von dem Bergarbeiter, der unter Tage erstickt und Jahrzehnte später ausgegraben, jung und frisch wie damals, mit rosigen Wangen also, und die Witwe inzwischen uralt?
    Die kleine Gesellschaft, die sich abends zusammenfand, paßte ganz gut zusammen; die Balten und Dr. Wagner, Katharina, die stille, nachdenkliche Schöne, und das Tantchen, das gar nicht so dumm war, sondern durchaus das eine oder andere beitragen konnte zur Unterhaltung? – Man setzte sich ans Feuer, erzählte, stritt, raunte ..., es war so, als ob man sich schon ewig kannte! und ewig zusammenbleiben würde!
    Zusammenhalten! das war die Forderung des Tages. Der Baron in seinem großkarierten Anzug trug an den Abenden wahrhaftig ein Cachenez, sobald er sich sehen ließ, kam der Kater gelaufen. Meistens trug er ihn bereits unter dem Arm.
     
    Das Tantchen zog sich an den Abenden ein besonderes Kleid an und eilte in die Küche und holte ein Glas Schattenmorellen, und die Herrschaften ließen das Glas umgehen und bedienten sich lachend. Sein liebes Königsberg! sagte der Studienrat, am Pregel in einem kleinen Restaurant gebratene Flundern gegessen... Und dann das Tuten der großen Schiffe vom Hafen her ...
    Der Baron klemmte das Monokel ein ums andere Mal ins Auge und dachte an den Sommer 1936, an das Häuschen in Dünaburg und an seine junge Frau, wie sie vom Bootssteg ins Wasser gesprungen war, die See wie gleißendes Silber?
    Wagner seinerseits erinnerte sich an eine Fahrradtour mit seiner Mutter durchs Weserbergland. Nun auch schon lange tot. «Haben Sie denn nie ans Heiraten gedacht?» fragte der Baron. «Ach, wissen Sie», sagte Dr. Wagner, «wie das so ist, erst immer hinausgeschoben, und dann war es eines Tages zu spät.» Und er dachte an eine Wanderung mit seinen Jungen, wie sie so wild über das Feuer sprangen ...
     
    Er mußte auch an 14/18 denken, an den Schützengraben. Da war es auch manchmal ganz romantisch gewesen. Nach seinerVerwundung – im Lazarett, die herrlichen Körper der jungen Soldaten, durch Narben quer rüber freilich arg entstellt? Und er schickte sich an, den Ärmel aufzukrempeln und die Spuren seiner Verwundung vorzuzeigen.
     
    Am Anfang des Krieges habe er immer so wunderbare Briefe von seinen Schülern gekriegt, sagte Dr. Wagner, von der Akropolis

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