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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hoch droben, aus Dänemark, aus dem Kaukasus und aus Burgund ... Der Strom sei jetzt versiegt. Seit Stalingrad ließen sich die Jungen seltener vernehmen. Aber er habe sie alle in einem Ordner gesammelt, und hin und wieder lese er darin. Er beabsichtige, den Briefen Fotos der Jungen beizugeben, das sei dann wie ein Totenschrein ... Und nach dem Krieg würde er das Ganze herausgeben zum Gedenken des jungen Blutes.
     
    Katharina saß mit der Baronin seitab auf dem Sofa, mit ihrem schwarzen Pullover und den schwarzen Hosen war sie in der Dunkelheit kaum auszumachen. Ab und zu leuchtete die Glut ihrer Zigarette auf. Und die Baronin guckte sie von der Seite an, vielleicht würde man hier eine Freundin gewinnen können? Mal die Nägel von Grund auf polieren oder die schweren Flechten kämmen? Sie näherte sich Katharina, aber Katharina rückte zur Seite. Sie war ein Mensch, der seine Freiheit brauchte.
    Unter den großen alten Ahnenbildern, die gar keine Ahnen waren, saßen sie beisammen. Und die Ahnen blickten mit hellen Augen auf die Gesellschaft herab. Waren sie verwundert?
     
    Dr. Wagner und hob sein Glas und sagte:
     
    «Ihr glücklichen Augen,
    was je ihr gesehn,
    es sei wie es wolle,
    es war doch so schön ... ! »
     
    «Ja», sagte das Tantchen, «das wollen wir geloben ... Von wem ist das?»
    Alle saßen sie am Kamin, die Frauen, der Baron mit Papagei und Kater und Peter, still. Der war noch zu jung, um fürs Gespräch zugelassen zu werden. Aber er durfte dabeisein, und er hörte sich alles an. Ob er stolz sei, einen so großen Namen zu tragen? wurde er gefragt.
     
    Der Baron las aus seiner Heimatchronik vor, wann die Stadt gegründet worden war und von wem, und dann, interessanter werdend, wie die Russen gehaust hatten, als sie das Baltikum besetzten, 1919, die Stadtverordneten erstochen und in einen Brunnen geworfen! Eine ganz spezielle Pfeife schmauchte er dazu, eine solche Pfeife hatte Peter noch nie gesehen. Einen derartig großkarierten Anzug auch nicht.
    Studienrat Wagner mit seiner dritten Krawatte, den Kopf in die Linke gestützt und mit knöchernen Fingern seinen Spitzbart gegen den Strich streichend, lauschte nicht gerade hingerissen, aber doch interessiert den Erzählungen des Barons. Wie das deutsche Freikorps dort aufgeräumt hatte, das hatte er so noch gar nicht gewußt. Nicht gefackelt und die Roten verjagt.
     
    Ob der Baron diese Aufzeichnungen noch überarbeiten werde? fragte Dr. Wagner, hier und da scheine ihm noch der letzte Schliff zu fehlen?
    «Nein», sagte der Baron, «was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.»
     
    Dr. Wagner hatte in Mitkau in seinem Schreibtisch noch die Gedichte seiner frühen Jahre, warum an einem solchen Abend nicht mal die eine oder die andere Kostprobe abgeben? Warum nicht?
    Die Flammen im Kamin überflackerten den Kreis und machten den Herrschaften glänzende Augen. Daran hatte auch die Flasche Barolo ihren Anteil, die Katharina spendierte. Dafür wurden sogar die alten Gläser aus dem Schrank genommen. Der Papagei steckte seinen Kopf unter den Flügel, und die Katze lag auf dem Schoß des Barons.An Boccaccio war zu denken und an Dante. Die hatten doch auch am Feuer gesessen und sich Geschichten erzählt?
    Spät in der Nacht senkte man dann doch die Stimme bis hin zum Gewisper: Von Juden wurde geredet.
    «Das rächt sich ... »
    «Ich halte nichts von diesen Brüdern, aber ... »
    «Naja, Schwamm drüber ... »
     
    Man hatte nicht gedacht, daß es einmal so gemütlich werden könnte auf Georgenhof. Daran würde man auch später noch denken! – Eigentlich schade, daß Eberhard nicht da war. Wo steckte er jetzt? Ob er an Georgenhof dachte? an Katharina und an seinen Sohn Peter?
     
    Zum Schluß spielte Dr. Wagner die Mondscheinsonate, 1. Satz, so wie er sie noch nie gespielt hatte, und dann ein kleines Stück in einem ganz anderen Ton, und man vergaß zu fragen: Was ist das denn?
    Wagner mit seinem krummen Rücken und dem dritten Schlips unter dem Spitzbart. Das Stück hatte er noch nie gespielt. Das stammte wohl aus letzten glücklichen Stunden? Sommertageim Harz. Wintertage mit der Mutter. Der Herbst mit seinen bunten Blättern. Der Rundgang unter der Stadtmauer, ein weiter Blick ins Land ...
    Er soll’s noch einmal spielen, sagte der Baron, der sonst während des Spiels von Dr. Wagner immer nur zu hüsteln pflegte. Aber da hatte Wagner schon das Klavier zugeklappt.

Ein Lehrer
    A m nächsten Tag verabschiedeten sich die Balten. Dem Tantchen

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