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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Josef in Albertsdorf sagte: «Was, Baltendeutsche? Diese Leute haben alle einen Fimmel.» Und: Baron? wenn das man stimmte. – «Bleibt bloß zu Haus. Wir bleiben ja alle hier. Jetzt weggehen, das ist das Verkehrteste, was man machen kann.» Außerdem könne er gar nicht fort, da er das ganze Haus voll Menschenhabe. Leute von sonst woher, die wie die Raben stehlen. Balten seien gottlob nicht darunter.
    Es seien in der Nacht wieder eine Reihe von Panzern vorüber- gekommen, Waffen-SS, er denke, die werden’s schon richten. So dumm sei der Hitler nicht, daß er die Russen ins Land läßt. Der lasse sie vielleicht ein Stückchen hinein, aber dann ziehe er den Sack zu.
     
    Doch nach Berlin fahren? Diese Frage diskutierten die Globigs wieder und wieder, nach Wilmersdorf? und Katharina telefonierte lange und eingehend mit ihrer Kusine. Denen immer so schöne Pakete geschickt, immer wenn sie gerade nicht daran dachten ... Anitas Konfirmation, und kurz vor Weihnachten die Gans? Und Elisabeth monatelang hier wohnen lassen, als sie sich aufs Physikum vorbereitete? Und in den Ferien immer und ewig die Kinder? Auf den Pferden herumgeritten wie doll und verrückt? Drei Kreuze gemacht, wenn sie wieder wegfuhren?
    Man könnte ja wenigstens den Jungen nach Berlin schicken, wurde wieder und wieder erwogen. Aber als das zur Sprache kam, hieß es dort: «Ja, natürlich, aber wie denkt ihr euch das? Wo Elisabeth doch immer so Schwierigkeiten mit den Füßen hat? Zwei Operationen, und noch immer nicht besser geworden? Und wo soll er überhaupt schlafen? ... Und dann müßte er hier ja auch zur Schule gehen ... und zum Dienst ... » Es war alles sehr schwierig. Es ließ sich irgendwie nicht machen.
    Das Tantchen fragte, was mit den Kisten werden soll, verdammt noch mal, die nun schon monatelang im Saal ständen. Eine Verantwortung dafür könne niemand übernehmen, das sei ihnen doch wohl klar?
    Die Berliner sagten darauf, das seien doch ganz solide Kisten, was solle damit schon passieren, und ein Inhaltsverzeichnis befindesich oben drin, und ein Duplikat des Verzeichnisses sei bei ihrem Anwalt deponiert, damit Mißverständnisse erst gar nicht aufkämen.
    Und dann fragten sie, ob die Kisten nicht vielleicht per Pferdewagen nach Berlin zurückgeschafft werden könnten? Mit einer einzigen Fuhre wäre das doch getan? Per Zug konnte man Mit- kau ja nicht mehr verlassen, aber mit dem Pferdewagen müßte das doch gehen? Die gesamte Tisch- und Bettwäsche, das Unterzeug, die Anzüge, die Kleider? Das Silber!
    Sogar die Familienbibel hatten sie eingepackt. Wer hätte es auch ahnen können, daß es einmal so kommt? und die stammte aus dem 17. Jahrhundert.
    «Inhaltsverzeichnis?» sagte das Tantchen. «In der Not lernt man die Menschen kennen», und sie hielt den Telefonhörer aus dem Fenster, damit sich die Leute davon überzeugten, was die Glocke geschlagen hat: Der Wind wehte von Osten allerlei deutliches Gerumpel heran.
    «Seid ihr noch am Apparat?» wurde da gefragt.
    Diese Leute waren weltfremd! Ein Inhaltsverzeichnis dem Anwalt übergeben! Über so was konnte man ja nur lachen! Die gesamte Tisch- und Bettwäsche? Das Unterzeug? Anzüge? Kleider? Das Silber! – Nachdenklich stand das Tantchen vor den Kisten und stellte Überlegungen an, was da wohl sonst noch alles drin war? Vielleicht Kognak? Es war alles nicht so einfach? Nein, von Mitkau nach Berlin per Pferdewagen, das waren ja hunderte von Kilometern! Da fielen die Pferde ja tot um!
    Im übrigen war der Wagen ja bereits beladen mit der eigenen Habe. Wladimir hatte alles sauber aufgeschichtet, Kisten und Kasten und Koffer, alles mit Wäscheleinen festgezurrt. Er hatte die Pferde sogar mit Winterbeschlag versehen lassen. Gar nicht gedacht, daß man diesem Manne so vertrauen konnte. Abends saß er in der Küche und las in der Bibel? Man hatte eben denFehler gemacht, alle Leute aus dem Osten über einen Leisten zu schlagen. «Polnische Wirtschaft.» Sogar die großen Milchkannen hatte er unterbringen können. Warum das denn?? Nun, sie waren mit ausgelassenem Schmalz gefüllt und mit Mehl und Zucker.
     
    Es kamen neue Flüchtlinge, ein zittriger Dorfschullehrer namens Hesse mit seiner Frau, die Helga hieß, Heil Hitler, und zwei Jungen, denen die Eltern die Namen Eckbert und Ingomar gegeben hatten.
    Peter mußte sein Zimmer räumen, er zog zu seiner Mutter, wie Drygalski es angeordnet hatte. Bevor er sein Zimmer verließ, schoß er die Papierflugzeuge mit der Luftpistole ab. Die

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