Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
BBC hinweg?
    Katharina schob die Truhe wieder vor die Abseite und schnupperte: Tabak? Schokolade? Nein, es war nichts zu riechen.
     
    Der Wintergarten gefiel dem Oberwart. Was für eine wundervolle Aussicht. Alles was recht ist! Im Sommer gewiß herrlich! Jetzt ja natürlich trostlos. Er sah auch auf seinen Trampelpfad hinunter und wunderte sich über das Halbrund, daß das so ebenmäßig war. Wie von einem Zirkel geschlagen! Frau Hesse, die sich mit hineingedrängt hatte in Katharinas Wintergarten,beanstandete die Kakteen und die Blumen. Die Tradiskantia, der Efeu! Was für einen traurigen Anblick boten sie! Eingestaubt und voll toter Fliegen? Das mußte unbedingt mal alles umgetopft werden.
     
    Drygalski wollte schon anfangen, von dem schönen Anblick zu sprechen, den die Familie Globig dargeboten hatte, auf dem Sommerrasen gesessen und Kaffee getrunken? So einträchtig und zufrieden. War es vor dem Krieg gewesen? – Daß das ein Bild gewesen sei, sagte er nicht.
    «Die Laube haben Sie wohl nie benutzt?»
    Katharina drängte ihn zur Tür. Ob noch irgendetwas wär’?
     
    Mit seinem Flüchtlingsmädel habe er leider Pech gehabt, sagte er beim Hinausgehen. Hübsch und an sich ganz patent und willig. Eigentlich ein nettes Mädchen, hätte alles von ihm haben können. Er hatte schon gedacht, diesem Mädel könne man eine Heimstatt bieten ... für immer! Aber: Sie war in Hitze verfallen! Unversehens. Und ziemlich sofort. Hatte ihm aufgelauert, wenn er in den Keller ging, und so weiter. Durch und durch verdorben! Da hatte natürlich sofort eingeschritten werden müssen. Augenblicklich sei das Luder auf die Straße gesetzt worden, «zoffort»! Bei so was mache er kurzen Prozeß. Eigentlich schade, ein sonst ganz nettes Mädchen und durchaus propper. Man hätte sie gern dabehalten.
    «Dieses Mädchen hätte alles von mir haben können ... » Traurig, wie sie dann da an der Straße stand, so einsam und allein ... Seine Frau, so siech sie auch war, hatte was mitgekriegt von der Sache. Und da war das dann unhaltbar geworden.
     
    Auf dem Korridor lauerte der kranke, zittrige Herr Hesse dem Oberwart auf, Heil Hitler, er heiße Hesse und sei seit 1939 inder Partei, und er schilderte ihm die Symptome seines Schlaganfalls und wie es dazu gekommen war und wie ihm dabei zumute gewesen sei. Seine Frau habe ihm erzählt, sein Mund habe absolut schief gestanden! Die habe zuerst gedacht, er mache bloß Spaß! – «Wenn ich meine Frau nicht gehabt hätte!» rief er, und dann fragte er sich und den Herrn Drygalski: «Was sollen wir jetzt hier bloß machen? Wir haben einen Einweisungsschein nach Danzig, aber die Bahnstrecke ist doch jetzt unterbrochen?» Was er meinte, was sie jetzt machen sollten? Hier gäb’ es doch gar nichts für sie zu tun? Und er könne sich doch nicht gut an die Straße stellen?
    Drygalski sagte: «Das kriegen wir schon.» Es gäbe da irgendwelche ärztlich betreuten Auffanglager, da werde für alles gesorgt. Und während er das sagte, überlegte er, ob es wirklich solche Lager gibt und ob das nicht was wäre für seine eigene, ständig kranke Frau? Es war anzunehmen, daß es so was gab, die Partei ließe sich gewiß nicht lumpen.
     
    Herr Hesse ließ noch nicht so bald ab von Drygalski: Er habe noch was auf dem Herzen: Seine Sammlung altgermanischer Artefakte, ob man nicht noch eben schnell einen Wagen hinschicken könnte und das rausholen aus der Wohnung? Unersetzliche Beile und Schaber? Vielleicht einen Trupp zu allem entschlossener Hitlerjungen?
    «Wie?» fragte er Drygalski.
    Aber der Amtsträger hatte gar nichts gesagt, der hing seinen eigenen Gedanken nach.
     
    Zu zweit standen dann die Hesses an ihrem Fenster und sahen dem Zug der Flüchtlinge nach, und sie bemerkten, daß der Fußboden zitterte. Und die Frau sagte zu ihrem Mann: «Am besten, du legst dich erst mal etwas hin ... »
    «Ich hätte wenigstens das Steinbeil mitnehmen sollen», sagte er, das werde er sich ewig vorwerfen, «das Ding mit dem Loch ... » «Aber wieso?» sagte seine Frau, «das wird doch alles von der Partei weggeschlossen und verwahrt, bis wir wieder zurückkönnen.»
    Daß sie sich, wie der Baron und seine Frau es getan hatten, an die Straße stellten und sogleich mitgenommen werden würden, war ganz undenkbar. Da hätte keiner angehalten. Aber Drygalski würde schon für alles sorgen.
     
    Nun erst einmal essen. Zu Tisch! zu Tisch! Die Hesses bauten sich in einer Ecke auf, ob auch sie gemeint sind damit? Ja, auch sie

Weitere Kostenlose Bücher