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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Pferde wurden ausgespannt und kamen in die große alte Scheune, tief seufzten sie auf. Und auch die Kühe, die an Strikken hinter den Wagen hergeführt wurden, kamen unter Dach und Fach. Herdbuchvieh edelster Sorte! Blutige Hufe hatten sie. Die Lehrersfrau mischte einen Eimer Wasser mit Essig, Salbei und allerhand andern Zutaten und wusch ihnen die Füße.
     
    Peter stand in der Halle. Die weiße Kappe der Mutter. – Ein fremder Mann hatte bei seiner Mutter gewohnt? Er hatte gar nicht gedacht, daß seine Mutter so was hinkriegt ...
    Er war ein bißchen stolz, daß sie das hingekriegt hatte. Im Stall traf er den Polen.
    Legte der ihm die Hand auf die Schulter? Zog ihn an sich? Trost?
    Nein, der schüttelte den Kopf.
    Die beiden Ukrainerinnen erzählten den Treckleuten, was hier passiert war. Und Sonja sagte, das hätte sie gar nicht gedacht, daß die Frau so mutig ist. Aber wegen eines lausigen Juden sich in solche Gefahr begeben? Die Frauen weinten und erzähltenimmer und immer wieder, was sie soeben erlebt hatten. Schokolade hatten auch sie lange nicht gegessen.
     
    «In der Nacht fahren wir», sagte Wladimir, und er sagte das zu Vera.
    Es grummelte und stampfte hinter dem roten Horizont, und dazwischen gab die Pauke das Zeichen für große Musik.

Aufbruch
    H ört, ihr Herr’n, und laßt euch sagen,
    unsre Glock’ hat zwölf geschlagen!
    Zwölf, das ist das Ziel der Zeit,
    Mensch, bedenk’ die Ewigkeit!
     
    G egen Mitternacht sagte das Tantchen: «Jetzt geht’s los! » Sie schaute auf ihre Armbanduhr, wie man das am Altjahrsabend macht.
    Auf Katharina warten? Wer konnte denn wissen, wie lange das mit ihr noch dauerte? Sarkander hatte gesagt: «Das kann lange dauern, sehr lange. Auf die brauchen Sie nicht zu warten, fahren Sie lieber gleich los. – Wir sorgen schon für sie, wenn sie wieder herauskommt.»
    Auch Frau Hesse riet sehr zum Aufbruch, wenn sie könnten, würden sie gleich mitfahren, aber vier Personen und noch immer keinen Schein?
    «Wenn die Frau von Globig kommt, dann kümmern wir uns um sie.»
     
    Das Tantchen hatte Onkel Josef angerufen, und der hatte gesagt: «Ja, das ist gut, kommt mal alle her ... Wir haben Platz genug. Wir fahren nicht weg, wir bleiben alle hier. – Wir freuen uns auf euch. In dieser Zeit muß man zusammenhalten.»
    Auf Katharinas Schicksal wurde nicht weiter eingegangen. Onkel Josef hatte schon von anderer Seite gehört, daß sie in Mitkau «sitzt». Das brauchte man am Telefon nicht zu besprechen. «Diearme Kathi», sagte er immerhin, obwohl er immer Vorbehalte gehabt hatte gegen sie. Der arme Eberhard irgendwie ...
    «Ihr kommt nach Albertsdorf und verschnauft ein bißchen, und von dort aus könntet ihr in aller Ruhe ausforschen, was mit ihr ist.»
    Der gute Josef! da hatte man doch jetzt ein Ziel vor Augen, da wußte man doch, wie’s weitergeht. Unrecht getan hatte man ihm mit diesem und jenem. War eben doch ein guter Kerl.
     
    «Wie konnte sie uns das nur antun», sagte das Tantchen zu Frau Hesse, «einen Juden! ... Stürzt uns alle ins Unglück!» Und zu Peter sagte sie: «Wir lassen die Mutter nicht im Stich, das mußt du nicht denken, sie kann ja jederzeit nachkommen, wenn man sie aus dem Gefängnis entläßt. Ein einzelner Mensch schlägt sich viel eher durch.»
    «Es wird in ihrem Sinne sein, wenn wir jetzt fahren. – Einen Juden verbergen, wie konnte sie das nur tun ... Stürzt uns alle ins Unglück! Nur schnell davon, sonst ziehen sie uns noch mit hinein.»
    Von «Mitwisserschaft» hatte sie schon mal gehört. Trat das jetzt in Kraft?
     
    Peter zog zwei Hosen übereinander, Hemden, Pullover, alles doppelt und dreifach, er putzte seine Schuhe, und Wladimir spannte die beiden Braunen vor den Ackerwagen und den Wallach vor die Kutsche. Das Tantchen zog auch alles mehrfach übereinander. Geld, das sie schon vor Wochen in Mitkau von der Bank geholt hatte – immer nach und nach, jeweils 500 Mark –, stopfte sie in ihre Taschen. Das war das Betriebskapital des Gutes. Der Sparkassenbeamte hatte ihr zuletzt noch zugezwinkert. Diese Frau ist nicht von gestern, mochte er gedacht haben.
     
    Um Mitternacht verließen sie Georgenhof: Nachts würde man schneller vorankommen! Dieser Meinung war auch Wladimir. Es mochte sein, wie es will, jetzt mußte zusammengehalten werden. Man war doch ein vernünftiger Mensch!
    Einen schlimmen Finger hatte er. Frau Hesse schmierte Zugsalbe drauf und verband ihn sorgfältig.
    Sie gingen noch einmal von Zimmer zu Zimmer – alles

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