Alles Umsonst
sauber und ordentlich –, und dann verließen sie das Haus.
Wir fahren in die Weite,
das Fähnlein weht im Wind.
Vieltausend uns zur Seite,
die ausgezogen sind …
Das Tantchen kutschierte die Kutsche, mit dem Wallach kannte sie sich aus. Und der Wallach guckte kaum mal nach hinten, der kannte das Tantchen. Für das große Tier eine Spielerei: ein so leichtes Gefährt!
Einen Augenblick lang war noch erwogen worden, die Kutsche ganz dazulassen. Auf dem Ackerwagen wäre noch Platz gewesen? Und: Wie sieht denn das aus? Eine altmodische Kutsche zwischen all den Bauernwagen? Vielleicht lachten die Leute darüber: mit einer Kutsche auf die Flucht gehen?
Aber dann entschloß sich das Tantchen, die Zügel selbst in die Hand zu nehmen, auf den Kutschbock zu klettern und die Bremse loszudrehen. Das Kutschieren kannte sie noch aus Kindheitstagen in Schlesien. Damals hatten sie ein Eselsgespann gehabt. Das Foto: sie und ihre drei Schwestern, alle in Weiß im Eselwagen. Sehr oft waren sie nicht im Park auf und ab gefahren mit dem Tier, der Esel hatte seinen eigenen Kopf gehabt.
Sie setzte sich eine Soldatenmütze auf und schlang einen Schal um den Hals. Der Wallach zog sich den Zügel zurecht und rollte die Augenbälle, ja, alles war verstaut: ein durch und durch gutmütiges Tier, auf das konnte man sich jederzeit verlassen. Da konnte man ohne weiteres «hü! » sagen und schnalzen, und schon zog es ab.
Den schweren Wagen mit zwei Pferden zu kutschieren, das hätte sich das Tantchen nicht zugetraut, das war nicht so einfach, da gingen die Zügel über Kreuz! Das hätte sie nicht gekonnt. Aber dafür hatte man ja Wladimir, den in so vielen Situationen bewährten, gutmütigen Polen.
Wladimir hatte seine viereckige Militärmütze aufgesetzt, und Vera setzte sich neben ihn, mit Wattejacke und Filzstiefeln angetan und dem Holzkoffer an der Seite, mit dem sie schon aus der Ukraine gekommen war, es war nicht viel dazugekommen in den Jahren.Ab jetzt würden sie zusammenbleiben, für immer und ewig, das sah man ihnen an. In ihrem Leibe wuchs schließlich was heran.
Sonja blieb zurück, die hatte es sich anders überlegt. Die hatte sich an diesem Tag Zöpfe geflochten und die karierte Jacke angezogen. Sie wolle lieber in aller Ruhe auf die Russen warten, sagte sie. Sie würde auf alles aufpassen, den Hund, die Katze, und dann würde sie auch den Hesses zur Hand gehen können, und alles Weitere würde sich finden. Schließlich müsse ja auch mit Katharina gerechnet werden, sagte sie zum Tantchen, so als ob die überhaupt nicht daran gedacht hätte.
«Vielleicht erscheint die ja doch eines Tages wieder auf der Bildfläche?» sagte Frau Hesse. «Meistens kommt es ganz anders, als man denkt. Und wenn sie dann in ein leeres Haus zurückkehrt? Das wäre doch nicht auszudenken?»
Ein wenig ungeduldig war sie, weil Drygalski noch immer keine Reisebewilligung gebracht hatte.
Das Tantchen setzte sich mit der Kutsche an die Spitze, und dann fuhren sie auch schon in die Dunkelheit dahin.
Leider ging gleich als erstes bei der Ausfahrt aus dem Hof die linke Glasscheibe der Kutsche zu Bruch, das in den Angeln hängende Tor war schuld! Warum hatte man es auch nicht repariert! Aber das war nun nicht zu ändern. Es zog nun allerdings erheblich. Peter stellte eine Strohgarbe vor das Fenster und einen Koffer. Nun konnte er nur noch nach rechts hinausgucken, aber das genügte ja auch.
Der schwere Wagen folgte ächzend und knarrend, mit all den Kisten und Kasten, mit den wohlgefüllten Milchkannen unter der Plane: Schmalz, Zucker und Mehl, den Federbetten, den Kleidern von Katharina und Eberhards Uniformen. Nur immer voran, in der Nacht würden sie ein gutes Stück hinter sich bringen, die Chaussee wie leergefegt! Eine feste Plane hatte Wladimir über alles gezogen und festgezurrt. Der kannte sich aus, der meisterte jede Situation.
Mit Wladimir hatte man ein gutes Gefühl. Dem konnte man vertrauen.
Sonja folgte dem kleinen Konvoi ein paar Schritte, doch dann kehrte sie um. Auch Jago folgte ein Stück, aber auch er drehte um. Er hatte es sich anders überlegt. Mitfahren ins Ungewisse? Die Herrin? Wo steckte sie? Die konnte man doch nicht im Stich lassen.
Der Kater ließ sich gar nicht erst blicken. Auch die Krähen flogen nicht auf, die saßen in der Eiche und zuckten mit der Schulter, und der Hund ging ins Haus.
Das Tantchen blickte nicht zurück. Die Straße führte leicht bergab, da mußte etwas gebremst
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