Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Möglichen, die aber natürlich in praktischer Hinsicht für
den normalen Shopper nie unbegrenzt ist – schließlich kann, wer nicht zu den Superreichen zählt, nicht alles kaufen. Das,
so der amerikanische Neurophysiologe Gregory Berns, erkläre auch, dass uns Shoppingausflüge meist weit weniger befriedigen,
als wir erhoffen – weil jede Möglichkeit, die wir wahrnehmen, eine Vielzahl anderer verschließt. »Bei jeder Kaufentscheidung
haben wir ein Auge auf dem begehrten Objekt und das andere auf allen anderen, die wir nicht kaufen.« 55 Und natürlich ist die konsumistische Mentalität von dem Irrglauben |56| getragen, mit dem erworbenen Objekt sei das Begehren befriedigt, wohingegen meist das Begehren bleibt, und das Objekt schlagartig
weniger interessant ist, sobald es uns gehört.
|55|
Gibt es wirklich einen Weg aus dem kapitalistischen Sektor?
Umsonstladen in Berlin
|56| Doch das ist längst nicht die einzige Falle: Wenn praktisch jeder Lebensstil schon von der Stange zu haben ist, es für jeden
Wunsch und jedes ersehnte Erlebnis schon kommerzialisierte Angebote gibt, wenn die innere und äußere Landnahme des Kapitalismus
jeden Flecken auf Marktförmigkeit hin zugerichtet hat, bleibt kaum mehr ein Raum, wo die Subjekte sich selbst erproben, selbst
etwas entwickeln können. Die Aktivitäten am Erlebnismarkt sind deshalb immer ein eigentümlich passiv-aktives Tun: Die Erlebnisnachfrager
wählen aus gegebenen Erlebnisangeboten aus, »als handelte es sich dabei um eine von ihnen selbst unbeeinflusste Wirklichkeit«. 56 Selbst der »Aktivurlauber« lässt sich sein Paket vom Reisebüro schnüren.
Der französische Situationist Guy Debord hat das in seinem weltberühmten Pamphlet »Die Gesellschaft des Spektakels« schon
vor vierzig Jahren in hellen Geistesblitzen beschrieben: In der »jedes Erlebnis beherrschenden Warenwelt« 57 sei »neben der entfremdeten Produktion der entfremdete Konsum zu einer zusätzlichen Pflicht für die Massen« 58 geworden. Das Spektakel, so Debord, sei »die
hauptsächliche Produktion
der heutigen Gesellschaft« 59 , der tätige Mensch sei damit konfrontiert, »dass seine eigenen Gesten nicht mehr ihm gehören, sondern einem anderen, der
sie ihm vorführt« 60 .
Gewiss kann man fragen, ob da nicht ein bläuäugiger Essentialismus anklingt, die Idee von einer reinen, nicht entfremdeten
Existenz, in der die Menschen keine Rollen mehr spielen müssen. Gesellschaftliche Existenz hat wohl immer etwas Rollenhaftes,
und die Frage ist, ob wir |57| grundsätzlich
durch
Rollen eine entfremdete Existenz führen oder nur gelegentlich
in
Rollen – dann nämlich, wenn wir nicht einmal mehr die Co-Autoren des Skripts sind 61 . Doch wie immer man die philosophischen Aspekte dieses Essentialismus beurteilen mag, in der Realität haben die Menschen
doch eine klare Vorstellung davon, ob ihre Lebenswelten dergestalt sind, dass sie sie zu beeinflussen vermögen, oder ob sie
ihnen als Fremdes gegenübertreten. Klar, der konsumistische Orbit ist etwas, was von den Subjekten selbst gemacht wird – also
gewissermaßen das Produkt ihres Willens –, aber in seiner gesellschaftlichen Wucht sensu strictu gleichzeitig der Wunsch von
niemandem. Er ist etwas, an dem jeder seinen Anteil hat, das sich aber zur subjektlosen, objektiven Macht über alle aufschwingt.
Er richtet sich die Subjekte her – und die Welt, in der sie leben.
Ob das eine schöne Welt ist, darüber kann man mit Recht streiten.
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|58| 3. Theorie der Shopping Mall
Wie der Konsumismus unsere Lebenswelten umformt und die Stadt zur Brand-Zone macht.
Dass der Kapitalismus kulturelle Effekte zeitigt, ist bestimmt alles andere als neu. Er war, auch in seinen frühen Phasen,
immer schon mehr als eine bloße Produktionsweise, mehr als nackte Technik, keine bloß leere Universalität oder kein »neutraler«
Markt, obwohl er sich neutral gibt – er war immer von einem bestimmten Geist durchdrungen und hat sich die Subjekte hergerichtet,
Subjektivitäten produziert, die seinem Entwicklungsstand angemessen waren, und er hat die Räume, die er sich eroberte, nicht
bloß erobert, sondern auch transformiert (genau gesagt, hat er keinen Stein auf dem anderen gelassen). Er hatte also Auswirkungen
auf die Kultur seiner Zeit und damit natürlich auch, im engen Sinne, auf die Künste. Auf vermittelte Weise, indem er Mentalitäten
einfärbte, und auch auf direkte Weise, weil die
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