Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
nicht weniger kommerziell, viel mehr werden die außerökonomischen Werte kommerzialisiert, so sehr, dass man sich
nichtkommerzielle Werte tendenziell kaum mehr vorstellen kann.
Anders gesagt: Mag die Ökonomie auch kultureller werden, so wird vor allem die Kultur ökonomischer. Es versteht sich von selbst,
dass ihr das, vorsichtig formuliert, nicht immer guttut.
Eine überlebte, etwas pausbäckige Kommerzkritik hat das Authentische, die echten Erfahrungen, die lebendigen zwischenmenschlichen
Begegnungen dem Künstlichen, dem Unechten entgegengestellt – bewegte sich aber auf unsicherem Boden, da sie implizit von einem
wahren Menschtum ausging, das angeblich durch Kommerz, aber auch durch Technologien verbogen und verschüttet würde. Diese
Kritik war nicht zu halten, weil Menschen nicht in einem solch »essentialistischen« Sinne echt, sondern selbst immer schon
durch Geschichte und Gesellschaft geprägt sind – also auch durch Wirtschaft und Konsum. Die Postmoderne hat daraufhin ihren
Frieden mit der bunten Glitzerwelt gemacht, mit Medien, Pop, |187| den neuen Technologien. Da nichts »wahrer« oder »ech ter « als das Andere ist, galt aus dieser Perspektive alles, was existiert, als gleich gut, und alles, was auf irgendeine Weise
real ist, als interessant (und manchmal: je virtueller die Realität, umso interessanter). Kritik ließ sich von diesem Standpunkt
aus eigentlich nicht mehr vorbringen – zumindest keine Kritik an den Dingen. Umso schneidender war der Hohn über die
falschen Formen der Kritik
. Der Spott über »Gutmenschen«, »Wohlfühllinke« und »Alt-68er«, der in manchen Kreisen zum guten (besser: schlechten) Ton
gehört, hat nicht zuletzt darin seinen Ursprung.
Aber auch diese leere Affirmation erwies sich als unbefriedigend. Denn schließlich ließ sich nicht übersehen, dass mit der
Delegitimierung der Kritik das Unbehagen an der Kommerzkultur nicht einfach verschwand. So zeigt sich etwa, wie das Gerhard
Schulze formuliert, »dass mit der Vereinfachung des Weges zu immer mehr potenziellen Zielen die Schwierigkeit, ein sinnvolles
Leben zu führen, zunimmt« 170 . Der Kulturkapitalismus zeigt eine innere Tendenz, die Menschen zu entmachten, gewissermaßen zu entmündigen. Sie müssen nichts
mehr selber tun, alles wird ihnen angeboten. Der öffentliche Raum wird privatwirtschaftlich angeeignet. Die Sinne werden mit
Sinnesreizen bombardiert, ob man das will oder nicht. Der Konsumkapitalismus etabliert die absolute Freiheit – kaufen oder
nicht kaufen, was man will (vorausgesetzt, man kann dafür bezahlen) – und gleichzeitig eine spezifische Art des Freiheitsverlustes.
Der Einfluss der Bürger auf ihre Lebensumwelt schwindet. Die Frage ist also weniger, ob etwas echt oder unecht ist, ja nicht
einmal, ob etwas Warenform annimmt oder nicht, sondern ob es gelingen kann, »sich zu sich und den Verhältnissen, in denen
man lebt und von denen man bestimmt ist, in Beziehung zu setzen, |188| sie sich aneignen zu können«.(Rahel Jaeggi) 171 Waren müssen dem nicht unbedingt abträglich sein, wie wir gesehen haben – sie können gerade als Kulturwaren auch Gadgets
sein, die der Selbstverwirklichung nicht im Wege stehen, sondern bei dieser helfen. Aber diese »Hilfe« ist immer eine zweischneidige
Sache, weil das vordergründig »Eigene« kaum mehr anders kann, als mit Fabriziertem zu operieren. Und die verallgemeinerte
Warenform ist eigensinnigen Aneignungen ohnehin vollends abträglich, eben weil der Markt bestimmte Arten von Möglichkeiten
multipliziert, während er andere vernichtet.
Zumindest in dieser Hinsicht macht der Kulturkapitalismus, wenn wir hier mit einer handlichen Antwort aufwarten wollen, die
Welt ganz gewiss nicht besser.
Der kommerzielle Kapitalismus ist ein »Raumverdränger« von der Art, wie er in Peter Handkes Stück »Zurüstungen zur Unsterblichkeit«
auftritt. Über die Raumverdränger heißt es da: »Wo sie auftreten, wollen sie das Sagen haben und verdrängen mitten im Frieden
den Raum.« Wie der oder die Einzelne sich angesichts dessen verhalten sollte, ist so leicht gar nicht zu sagen, und, ich muss
es gestehen, es liegt mir auch nicht, ein Buch über ein derart komplexes Thema wie die Konsumkultur mit einer Reihe von Handlungsanweisungen
nach Art der zehn Gebote zu beenden. Das Vertrauen auf das eigene Denken der Leserschaft ist mir sympathischer, entsprechend
der Schlusssentenz aus Brechts »Der Gute
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