Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
viele
von ihnen würde es auch geben, wenn es mehr Fairness gäbe. Um das Kernproblem dessen zu verstehen, was man heute so salopp
den »Kampf der Kulturen« nennt, müssen wir uns tatsächlich der »Kultur« zuwenden.
Wir haben gesehen, dass der Konsumkapitalismus nicht nur eine Form ist, Güter zu produzieren, und mehr als nur Waren verbreitet
– er verbreitet mit den Waren auch kulturelle Systeme. Er produziert Lifestyles. Da es Waren für eine unübersehbare Menge
verschiedener Lifestyles gibt, ist dieser Kapitalismus aber scheinbar kulturell blind – anders als der alte Imperialismus,
der »den Wilden« die »Werte der Zivilisation« bringen wollte, glaubt der neue Kapitalismus, dass er einfach eine Vielzahl
an Angeboten macht und weit davon entfernt ist, irgendwelche Angebote zur Norm zu erheben. Diese liberale Selbstüberlistung
wiederum führt dazu, dass er oft gar nicht begreift, dass er doch eine Kultur zur Norm erhebt, nämlich sich selbst. Denn bei
allen Angeboten an Differenzkultur |171| kommt mit der Konsumzivilisation doch nur ein Lebensstil auf den Marktplatz, der
westliche Lebensstil
. Der westliche Kapitalismus betrachtet sich, insofern er sich selbst als universale Kultur sieht, gar nicht mehr als Kultur,
sondern als Norm. Diese Norm materialisiert sich in Bildern, in Image, in Lifestyle und wird an jeden Ort unseres Globus geliefert.
Den Kulturen, also dem, was sich von der hegemonialen Kultur unterscheidet, wird ihre eigene Minderwertigkeit täglich vor
Augen geführt. Sie existieren für die Norm nicht oder besser: Sie existieren, aber nur als das exotische Andere, als die Abweichung,
die die Norm zu ihrer Bestätigung braucht. Die Norm ist natürlich begehrt, wie die Waren, die der globale Kulturkapitalismus
liefert. Das Partikulare kann sich dem globalen Way of Life nicht einfach entziehen. Aber es muss den Umstand, dass er ihm
mit der Autorität des Universalen gegenübertritt, auch als Anmaßung empfinden, zumal diese Autorität nicht einfach bestritten
werden kann. Das Resultat ist eine eigentümliche narzisstische Kränkung, ohne die die kulturellen Konfliktlagen unserer Epoche
kaum begriffen werden können.
Schon der Gebrauch des Wortes »Kultur« im Kontext dieser Konflikte ist verräterisch. Die hegemoniale Kultur, also der westliche
Lebensstil, sieht sich gar nicht als Kultur oder wenn, dann nur in einem ganz anderen Sinn als die partikularen »Kulturen«.
Das ist es, was der britische Kulturtheoretiker Terry Eagleton die »liberale Form des Imperialismus« nennt. »In einem gewissen
Sinne«, schreibt Eagleton, »besitzt der Westen keine eigene, bestimmte Identität, weil er keine benötigt. Fremd sind die fremden
Kulturen, während die eigene Lebensform die Norm und daher eigentlich gar keine ›Kultur‹ ist. Vielmehr sind sie der Maßstab,
an dem andere Lebensformen sich eben
als
Kulturen erweisen. 151 Für Stuart Hall, einen anderen großen |172| britischen Kulturtheoretiker, ist der Liberalismus »nicht die ›Kultur, die über den Kulturen‹ steht, sondern die Kultur, die
gewonnen hat, das heißt, der Partikularismus, der sich auf dem gesamten Globus erfolgreich universalisiert und hegemonisiert
hat« 152 . Wenn die liberale Kultur von »Kulturen« spricht, schwingt das Wort »rückständig« immer schon mit. Identifiziert sie Kulturen
nicht als gefährlich, dann sofort als musealen Wert: Kulturen sind das, worum man Sorge trägt, dass sie nicht aussterben.
Wir begegnen allen anderen Kulturen mit einer Einstellung, um das mit einer schönen Wendung Slavoj i eks zu sagen, »die von
einer Art leerem globalen Platz aus
jede
Lokalkultur so behandelt, wie der Kolonist die zu kolonisierenden Menschen behandelt – als ›Eingeborene‹, deren Sitten genau
studiert werden müssen und die zu ›respektieren‹ sind.« Aber das zeigt natürlich, dass schon dieser Respekt (der ohnehin eine
Tugend ist, der sich nicht alle im Westen immer verpflichtet fühlen) von jener Art ist, die von Herablassung manchmal schwer
zu unterscheiden ist. Der westliche Blick ist davon in jedem Moment eingefärbt. Selbst für die wohlmeinendsten Multikulturalisten
gilt das, die etwa das Recht der Einwanderercommunities hochhalten, nach ihrer Tradition zu leben – sie würden das auch bei
bunt bemalten Ureinwohnern abgelegener Südseeinseln so halten. Dorthin, wo es Kulturen gibt, fahren wir in Urlaub, wenn wir
uns erholen wollen, wenn wir
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